Volltext: Salzkammergut-Familien-Kalender 1915 (1915)

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Augenblicke darnach kam die Ant¬ 
wort: Er soll morgen kommen, heute 
habe er keine Zeit mehr für ihn. 
Ein spöttisches Lachen der Um¬ 
stehenden begleitete diese Antwort. 
Vater Ebner sagte kein Wort und 
ging,. Als sie ihm nachschauten, kam 
ihnen vor, als sei seine Gestalt noch 
gebeugter als früher, der Schritt un¬ 
sicher und müde. 
Er fuhr heim. Wieder betete er den 
Rosenkranz: „Der für uns das 
schwere Kreuz getragen hat." — Lichte 
Englein aber trugen seine Gebete 
hinauf zum Throne der Himmelmut¬ 
ter und brachten neue Gnaden als 
Gegengabe zurück. 
V. 
Wie ein rotglänzender Ball stand 
die Sonne am Himmel und verklärte 
mit ihren letzten Strahlen die kleine 
Farm am Flusse. 
Vor der Farm saßen auf einer 
Bank zwei ulte Leutchen, Lex und sein 
Weib. Vom Dorfe herüber zitterten 
die letzten Klänge des Aveläutens. 
Der Alte setzte sein Käppchen auf das 
weiße Haupt und nahm die Zeitung 
wieder in die Hand, welche er neben 
sich liegen hatte. 
„Vater, ist es wahr, daß er tod¬ 
krank sei?" 
„Ja, da steht es. Aber was geht 
das uns an? Er hat feinen Gott ver¬ 
leugnet und uns verleugnet." 
„Vater, er liegt im Sterben," sagte 
die Mutter. „Es ist unsere Pflicht, ihn 
zu retten, ehe es! zu spät ist. Auch du 
denkst so, und dein Herz weiß nichts 
von den harten Worten, welche dein 
Mund gesprochen hat." 
„Ja, da hast recht. Wir müssen ver¬ 
zeihen, damit ihm auch Gott verzeihe. 
Morgen fahren wir." 
Und sie fuhren. Es war ein Kreuz¬ 
weg. Sollte es auch diesmal umsonst 
sein? 
Als sie sich dem Haufe näherten, 
war die Zufahrt wie vor zwanzig 
Jahren dicht mit Wagen besetzt. Aber 
der Weg war mit Stroh bedeckt, daß 
man das Rollen der Räder nicht ver¬ 
nehme. Man hörte flüsternde Stim¬ 
men, welche von dem nahen Ende des 
reichen Mannes sprachen. Nur der 
Name der Krankheit wurde nicht ge¬ 
nannt. Niemand redete von ihm mit 
dem Schmerze der Liebe, alle redeten 
mit Bewunderung von seinem großen 
Reichtume. 
Die beiden alten Leute drängten 
sich durch alle diese Wägen und vor¬ 
nehmen Leute hindurch, bis sie vor 
dem Eingänge standen. 
„Was wollt Ihr denn? Es darf 
niemand eingelassen werden, selbst 
diese vornehmen Damen und Herren 
nicht," sagte der Diener zu ihnen. 
„Wir sind feine Eltern und wollen 
unser sterbendes Kind sehen," sagte 
der Vater und achteten nicht des be¬ 
stürzten Dieners, welcher ihnen nach¬ 
geeilt war, als sie die breite Treppe 
hinaufstiegen. 
Dort begegneten sie zwei Herren. 
Einer trug das Kleid eines Geistlichen, 
den andern sprach der Diener an und 
nannte ihn „Doktor". 
„Können diese Leute den Herrn 
sehen? Sie sagen, sie feien seine El¬ 
tern", fügte der Bedienstete zweifelnd 
hinzu. 
„Sie sind seine Eltern?" fragte der 
Doktor erschrocken. 
„Ja, Herr!" antwortete der Vater, 
und die Mutter nickte zustimmend. 
Der Doktor sah bestürzt aus und 
wandte sich an seinen Begleiter im 
priesterlichen Kleide: 
„Nicht wahr, ich darf Ihnen ver¬ 
trauen, daß Sie den Leuten unten 
nichts sagen von dem, was ich jetzt der 
Frau mitteilen muß?" 
„Mir können Sie doch vertrauen, 
Doktor", sagte der andere. 
„Sie sind ein Priester?" fragten 
Vater und Mutter gleichzeitig. 
„Ja, aber kein katholischer", erwi¬ 
derte der Mann mit würdevollem Aus- 
drucke. 
„Sie wollen also zu Ihrem Sohne?" 
wandte sich der Arzt an die Eltern. 
„Wissen Sie auch, welche Krankheit er
	        
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