Volltext: Salzkammergut-Familien-Kalender 1914 (1914)

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fuße. Mit einem mächtigen Satz ist er 
aus dem Sattel, packt das Kind und 
taumelt, von der Gewalt des Schwun¬ 
ges getrieben, zehn, fünfzehn Schritte 
seitwärts. Aber ehe er noch imstande 
ist, ins Gleichgewicht zu gelangen, 
leuchtet ein greller Blitz auf. Ein 
schmetternder Schlag folgt. Er fühlt 
sich gepackt, beiseite geschleudert, auf 
die Knie gedrückt. Und eine mächtige 
Wolke von Staub, Schmutz und Trüm¬ 
mern hüllt ihn und das Kind ein, das 
er fest an seine Brust gepreßt hält. 
Langsam verzieht sich die Wolke. 
Mit weit aufgerissenen Augen starrt 
-er Oberst zu seinem, von einer kre¬ 
pierten Granate zerrissenen Hengst 
hinüber, neben dem sich mehrere seiner 
Reiter mit ihren Pferden getroffen am 
Boden wälzen, starrt . . . starrt . . . 
Minutenlang hockt er so völlig ver¬ 
ständnislos. Dann beginnt er langsam 
zu begreifen. Heiß steigt es in seine 
Augen. Innig preßt er den Kopf des 
Kindes an sich, während ein glühendes 
Dankgebet aus seiner Seele aufsteigt 
zu dem Throne des Höchsten, der ein 
kleines Kind seinen Retter werden ließ. 
Die hereinbrechende Dunkelheit hat 
dem mörderischen Kampf ein Ende ge¬ 
macht. Lüle Burgas ist in dem Besitz 
der Bulgaren geblieben. Tiefes Dun¬ 
kel, tiefe, totenähnliche Stille liegt 
über der so schwer heimgesuchten 
Stadt. Nur aus den zu Lazaretten her¬ 
gerichteten Räumen schimmert noch 
Licht, tönt Stöhnen und Aechzen auf 
die Straßen. 
Auch das Quartier des Obersten 
Kargiew ist noch hell. Auf einer Bank, 
sorglich in Mäntel und Decken gehüllt, 
schläft sanft und süß das von ihm geret¬ 
tete Kind. An dem Tisch aber sitzt der 
Oberst und beendet einen Brief an 
seine Gattin; samt dem Kinde soll ihn 
morgen ein Verwundetentransport 
mit heimnehmen. Er schließt mit den 
Worten: „Wir wollen dem kleinen 
Mädchen die toten Eltern ersetzen, 
Lona. Werden sechs hungrige Mäul¬ 
chen satt, so findet auch das siebente 
seinen Teil. Halte das Kind lieb, sehr 
lieb, dieses Werkzeug der Allmacht, das 
Dir den Gatten und unseren lieben 
Kindern den Vater am Leben er¬ 
hielt!" 
heiteres. 
Der Kurpfuscher. Einem Angeklagten 
wurde zur Last gelegt, die Kurpfuscherei 
betrieben zu haben, indem er es gewagt 
habe, ohne ärztliches Diplom Kranke zu 
behandeln. Der Angeklagte bat sodann 
um Geheimerklärung der Verhandlung, 
da er zu seiner Rechtfertigung etwas yor- 
zubringen habe, was er nur dem Gerichts¬ 
höfe anvertrauen könne. Nachdem die 
Verhandlung geheim erklärt worden, 
sagte der Angeklagte: „Hier, Herr Präsi¬ 
dent, ist mein Diplom: ich bin ja Arzt, 
aber meine Patienten dürfen es nicht er¬ 
fahren, sonst haben sie kein Vertrauen 
mehr zu mir!" 
Aufklärung. „Der Doktor ist ja ein sehr- 
höflicher Mann! Immer begleitet er seine 
Patienten bis an die Tür." — „Ja... es 
hat ihm einmal einer seinen Pelz mitge¬ 
nommen!" 
Bor Gericht. Richter: „...Den Dieb¬ 
stahl haben Sie mit einer so raffinierten 
Schlauheit ins Werk gesetzt. . ." — Ange¬ 
klagter (ablehnend): „Bitte, Herr Gerichts¬ 
hof — keine Schmeichelei!" 
Gibt's nicht. „Mir scheint, Schluckerl, 
Sie haben wieder über Durst getrunken?!" 
— „Gar ka' Spur, Herr Verwalter, Durscht 
hab' i' alleweil no' g'nua!" 
Unangenehm. Richter: „Das Automobil 
ist Ihnen also direkt über das Gesicht ge¬ 
fahren. Haben Sie einen besonderen Nach¬ 
teil davon gehabt?" — „Ja. Ich habe jetzt 
im Munde immer so einen Gummi¬ 
geschmack." 
Das ist was anderes. Elias Steinbock 
erscheint als Kläger bei Gericht wegen 
einer Forderung von 24 Kronen. Der 
Beklagte anerkennt die Schuld, will die¬ 
selbe bar erlegen, doch Steinbock bedauert 
— es war ein Samstag — als strenggläu¬ 
biger Jude das Geld nicht nehmen zu 
können. Der Gerichtsdiener erbietet sich, 
ihm die Summe in den Kaftan zu stecken, 
damit er das Geld nicht anrühren müsse. 
Der Beklagte erlegte aber in seiner Auf¬ 
regung irrtümlich 24 Gulden und ehe 
man sich dessen versieht, hatte Elias seine 
Hände auf dem Tisch und das Geld blitz¬ 
schnell eingesteckt. 
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