Volltext: Salzkammergut-Familien-Kalender 1914 (1914)

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Unabwendbaren, Gräßlichem umkrallt 
sie seine Seele, zerrt und zwickt an sei¬ 
nen Nerven. Ist es der Rückschlag all 
der durchgemachten Strapazen, Kämpfe 
und Nöte? Kargiew weiß es nicht. 
Aber immer intensiver wühlt sich die 
Ueberzeugung in Hirn und Herz, daß 
er der Erde nicht mehr lange ange¬ 
hören wird. Und dann . . . 
Arme Lona — arme Kinder . . . 
Ein dumpfes Stöhnen weitet die 
breite, muskulöse Brust des Obersten. 
Ein wilder Blick zuckt rechts und links 
über das starrende Dunkel, als wolle 
er den Dämon der Vernichtung suchen, 
der da mord- und beutegierig unter 
dem Schutze der Nacht heranschleicht. 
Eine zitternde Hand löst den Helm, 
streicht unsicher über zuckende Gesichts¬ 
muskeln, — feuchte Augen. Dann geht 
ein Ruck durch den Körper des Träu¬ 
mers — im Osten flammt der erste 
Sonnenstrahl empor. Und als hätte 
die Haubitze in dem Geschützeinschnitt 
da vor dem Obersten nur auf dieses 
Signal gewartet, öffnet sie plötzlich den 
ehernen Mund und läßt einen grellen 
Feuerstrahl entweichen, dem sofort ein 
schmetternder Donnerschlag antwortet. 
Nachdenklich blickt der Oberst dem 
Geschoß nach, das einen feurigen Bo¬ 
gen an dem noch dunklen Nachthimmel 
beschreibt, um sich dann weit hinten 
der Erde zuzusenken und in einem jäh 
auspuffenden grauweißen Wölkchen zu 
enden. Ein tiefer Seufzer hebt seine 
Brust. 
Eine zweite, eine dritte Detonation 
folgt hastig der ersten. Entfernter ein¬ 
gebettete Geschütze beginnen dem Kra¬ 
chen zu akkompagnieren. Vereinzelt 
hebt sich auch auf den Wällen von Lüle 
Burgas ein Flammenbogeu, der schnell 
näherrückt und mit einem nervener¬ 
schütternden „Bum! — Rrrrt!" eben¬ 
falls einen solchen verhängnisvollen, 
grauweißen Wolkenballen bildet. Auf¬ 
munternd gellen die Signalhörner in 
dem weiten Felde. Fern und nah er¬ 
tönen schrille Kommandorufe. Hie und 
da intonieren einzelne Regiments¬ 
kapellen feurige Märsche. Aber alle 
diese Geräusche verschwimmen mehr 
und mehr in dem Donnern und Kra¬ 
chen der Geschütze, das nun anhebt. 
Lauter, immer lauter tönen die Bässe 
der Schlacht. Leise beginnt die Erde 
zu vibrieren. Ein fortwährendes 
Zucken in den Lungen ruft der Luft¬ 
druck bei Mensch und Tier hervor. Und 
dann setzt ein Heulen und Gellen, 
Schmettern, Prasseln und Krachen ein, 
das alles andere übertönt. Es ist, als 
ob die alte, geduldige Erde aus allen 
Fugen bersten wolle. 
Langsam hebt der Oberst seinen 
Krimstecher an die Augen und blickt 
hinüber nach der unglücklichen Stadt, 
aus der an einzelnen Stellen bereits 
die Flammen gierig aufzulodern be¬ 
ginnen. Aber das Glas verharrt an 
den Augen und ein immer größeres 
Erstaunen spiegeln die Züge des Be¬ 
obachters wieder: Lüle Burgas scheint 
völlig ausgestorben zu sein. Alle Ge¬ 
schütze schweigen. Nichts rührt sich auf 
den Wällen. 
Was ist das? Kaum denkbar scheint 
es doch, daß alle feindlichen Batterien 
bereits demoliert sein sollen. Ja, aber 
warum erwidern die Türken das ra¬ 
sende Geschützfeuer denn nicht? Son¬ 
derbar! 
Wie fragend richtet der Oberst nun 
das Glas auf seinen Höchstkommandie- 
renöen, der, wie ein Bild von Stein, 
umgeben von seinem Stabe, auf einem 
kleinen Hügel hält. 
Da! 
Mit einer gräßlich krachenden 
Salve bricht das fürchterliche Getöse 
plötzlich ab. Hüben und drüben schwei¬ 
gen die Tod und Verderben bringen¬ 
den Rohre, wie auf Verabredung. Und 
eine minutenlange, fast unheimliche 
Stille senkt sich nieder auf das blutge¬ 
tränkte Feld. 
Wie zwei beutegierige Großkatzen 
der Wildnis, die sprungbereit einander 
gegenüber kauern, starren sich die 
feindlichen Truppen an, still, tief 
atmend, starr, haßerfüllt. 
Und dann jauchzen plötzlich die Sig¬ 
nalhörner auf in erregendem, beschwö¬ 
rendem Klingen. Hinter allen Deckun¬ 
gen hervor, aus den Laufgräben,
	        
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