Volltext: Salzkammergut-Familien-Kalender 1914 (1914)

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kleinere Nebenzweige, schnurgerade in 
die Höhe strebend, deren Aeste dann 
wieder in ihrer Bildung mit jener der 
Hauptzweige übereinstimmten. 
All dieser Schmuck des heiligen 
Baumes ist nun dahin, und nichts 
übrig, als der Hauptstamm; aber noch 
ziert diesen das Abbild des gekreuzig¬ 
ten Erlösers und mehrere Abbildungen 
von Heiligen, und noch befindet sich 
dicht an ihm ein Betschemmel für solche, 
die zu ihm wandern im frommen 
Glauben ihres Herzens. 
Während ich die traurigen Ueber- 
reste des einst so schönen Baumes be¬ 
trachtete, erinnerte ich mich an jene 
Erzählung, welche mir damals von 
der erwähnten Sammlerin der dürren 
Reiser mitgeteilt worden war, und ich 
benützte den auf den sonnigen Vormit¬ 
tag folgenden regnerischen Nachmittag, 
nachdem ich an den guten und schlechten 
Witzen des Fremdenbuches im „Golde¬ 
nen Schiff" genug bekommen hatte, um 
das Erzählte zu Papier zu bringen. 
Bleibe ich auch in folgendem gerade 
nicht den Worten meiner authentischen 
Quelle streng getreu, so doch gewiß 
der Wahrheit, da ich es für den grö߬ 
ten Fehler des Wiedererzählers halte, 
ans Kosten der Wahrheit zu sündigen. 
1. 
Der Kienspan drohte zu verlöschen, 
La er bereits bis knapp an die eiserne 
Klammer zurückgebrannt hatte, die ihn 
an dem Leuchter festhielt, und sein 
düsteres Licht brachte kaum noch ein 
Halbdunkel in der rußigen Stube her¬ 
vor. 
Martin stand am Fenster und 
starrte durch die an manchen Stellen 
mit Papier verklebten Scheiben hinaus 
in die stürmische Winternacht. Krampf¬ 
haft ballte er seine Hände, und wie in 
Wut entbrannt stemmte er die kräftige 
Faust bald auf das Fenstergetäfel, bald 
schlug er sie gegen Stirne und Brust, 
daß es dröhnte, und grausend bewegte 
er dabei den Unterkiefer zu einem un¬ 
heimlichen Knirschen. 
Martin war ein heftiger leiden¬ 
schaftlicher Mann. Schon als Knabe 
wollte er sich nicht in die Ordnung der" 
Dinge fügen und empörte sich in star¬ 
rem Eigensinne gegen die Ermahnun¬ 
gen, Drohungen und Strafen seiner 
Eltern; und als er zum heiratsfähigen ! 
Mann herangewachsen war, und Vater 
und Mutter mit tränenleeren Augen 
zu Grabe begleitet hatte, da freite er 
um Life, des Lambergers Tochter. Alle„ 
die davon hörten, schüttelten den Kopf 
und prophezeihten einen unglücklichen 
Erfolg dieser Heirat; die Eltern aber 
verweigerten ihm standhaft das Mäd¬ 
chen. 
Life hatte schon lange den hübschen^ 
schlanken Burschen mit dem stolzen 
Anstand betrachtet, der als Fremdling 
jeden Sonntag in der Kirche ihres 
Dorfes erschien und dann keinen Blick 
von ihr abwendete; sie hatte es wohl 
beürerkt, wie er beim Verlassen des 
Gotteshauses ihr so nahe als möglich 
zu kommen trachtete; auch hatte sie es 
wohl erfahren, daß sich einige Burschen 
der Pfarrei eifersüchtig an den Ein¬ 
dringling aus fremder Gegend gewagt^ 
aber vor seiner Körperkraft und Ge¬ 
wandtheit eine solche Scheu bekommen 
hatten, daß sie ihn nun vermieden, da¬ 
gegen in heimlichem Gramm das Vor¬ 
haben faßten, in Mehrzahl ihn zu über¬ 
fallen und ihm jede fernere Lust, ihre 
Kirche zu besuchen und da mit der hüb¬ 
schen Life zu liebäugeln, zu benehmen. 
Aber am nächsten und an jedem fol¬ 
genden Sonntag erschien doch Martin 
wieder, aber nie mehr anders, als in 
Begleitung seines gewaltigen Hundesj 
„Türk", dessen scharfes Gebiß in blen- * 
denüer Weiße aus offenem Rachen f 
jedem entgegentrotzte, der mit verdäch- * 
tiger Miene oder mit Verrat drohen- v 
den Schritten seinem Herrn sich nä- 1 
herte, --und die Feigen zogen sich * 
mit gesunkenem Mute zurück. ® 
War es nun das Männliche und» i 
Kräftige, was Martin vor allen Bur- * 
schen ihres Dorfes auszeichnete, war * 
es der Beweis von Zuneigung, welche s 
ihn an jedem Sonn- und Festtag einen 15 
Weg von beinahe vier Stunden zurück- & 
legen hieß, um sie zu sehen, oder war fl 
es eine Art weiblichen Stolzes über 11
	        
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