Volltext: Salzkammergut-Familien-Kalender 1913 (1913)

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Zohannisnacht. 
Von M. Th. K. 
Neben all dem schwärzlichen, schlan- 
ken Getann steht einsam am Wald- 
säume ein Eichenbaum, ein knorriger, 
mächt'ger Geselle. In sein volles Ge- 
zweige schlingt zärtlich eine Efeu- 
ranke und dankt ihm, der ihr starken 
Schutz gewährt, mit ihrem Geplauder 
in müßiger Stunde. 
Einmal, es ist Johannisnacht wor- 
den, von ferne glimmen die Feuer und 
eine weiche sehnsüchtige Stimmung 
liegt über Wald und Flur, erzählt sie 
also: 
Schon lagerte Nacht ringsum auf 
den Höhen — da sah ich einen Mann 
längs des Flusses wandern, der hier 
seine Fluten vorüberwälzt. Ich er- 
kannte in ihm denselben Burschen, der 
vor gar nicht langer Zeit unter deinem 
Blätterdach so bitterlich geweint, als 
man auf der Höhe gegenüber seine 
Liebste zum Kirchhof trug. Jetzt ging 
er einsam und traurig einher? er 
¡ dachte wohl des vergangenen Jahres, 
da er am heutigen Tag zum erstenmal 
mit seinem Mädel durch das Feuer ge- 
fprungeu war, und das ihm die Zeit 
her so unendlich viel Leid gebracht 
hatte. Da faßte ihn Verzweiflung und 
seine Gedanken gingen wild, wie die 
Waffer neben ihm. 
„Nur einmal noch laß' mich hören 
von dir," rief er in feinem Schmerz 
zum Himmel hinauf. 
Im selben Augenblick fiel ein Stern 
nieder und darum auch sollte sein 
Wunsch erfüllt werden. Allfogleich öff- 
nete sich am Himmel eine Spalte und 
so viel goldenes Licht floß daraus her- 
nieder, daß es ihn blendete. Eine un- 
sichtbare Hand brach ein Stückchen 
Himmelsblau ab und fügte inmitten 
ein kleines Sternlein und als es dicht 
vor ihm zu Boden fiel, hörte ich eine 
liebe Stimme sagen: „Vergißmein- 
nicht." — Es war ein Blümlein dar- 
aus geworden, als er es in die Hand 
nahm, und getröstet zog er weiter. 
Hier schwieg die Efeuranke? der 
Nachtwind kam gestrichen und schüt- 
telte ihr die Tränen aus den Blättern 
und flüsterte leise: Vergißmeinnicht. 
vie Europäer im Auge des Chinesen. 
Wenn man die Meinungen oder Hand- 
lungsweisen eines anderen als gänzlich 
ausgefallen und ungewöhnlich bezeichnen 
will., nennt man sie manchmal chinesenhast, 
weil die Lebensgewohnheiten und Anschau- 
ungen der Ostasiaten in so vielen Punkten 
den unseren ganz entgegengesetzt sind. Ge- 
nau so seltsam, wie uns die Chinesen vor- 
kommen, erscheinen wir ihnen aber auch. 
Ein englischer Missionär, E. I. Hardy, 
führt hiefür in „Cambers Journal" eine 
ganze Reihe schlagender Beispiele an, für 
die er in Hongkong Belege gesammelt hat. 
Vorweg sei bemerkt, daß manches, was die 
Chinesen den Europäern nachsagen, ganz 
unbegründet ist, während anderes wieder 
ganz falsch und unverständlich ist. So Hal- 
ten die Chinesen z. B. schwarzes Haar für 
einen besonderen Vorzug der mongolischen 
Rasse und bezeichnen alle Fremden als 
„rothaarige Teufel". Den Bart der Euro- 
päer verwerfen sie durchaus. Er erscheint 
ihnen „affenartig". Ein Chinese sagte ein- 
mal zu dem Missionär, er spräche chine- 
sischi, und wenn er nun noch glatt rasiert 
wäre, wäre er ebenso schön wie er selber! 
In den Vorurteilen über den europäischen 
Haar- und Bartwuchs werden die Chine- 
sen von Kindheit an erzogen. Die euro- 
päische Kleidung gefällt den Chinesen gär 
nicht. Der Männertracht werfen sie vor, 
daß sie zu eng anliege. Ein wohlhabender 
Mann muß sich nämlich nach ihren An- 
schauungen weite Gewänder leisten kön- 
nen. Daß sie dagegen Kragen, Manschetten 
und gestärkte Hemdbrust als unzweckmäßig 
betrachten, wird ihnen mancher Europäer 
nachfühlen können. So wenig sich die Euro- 
päer zu kleiden wissen, so haben sie nach 
chinesischem Urteil „gute Manieren". Die 
Europäer tun sich immer etwas auf ihre 
Kraft zugute (womit hauptsächlich Heer 
und Flotte gemeint sind), währender Chi- 
nese höfliches Betragen über Kraft stellt. 
Vom höflichen Betragen aber weiß der 
Europäer nichts: er schickt Missionäre nach 
dem Orienjt, während es jeder Chinese als 
aufdringlich verwürfe, etwa in Europa für 
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