Volltext: Österreichischer Volkskalender 1936 (1936)

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An der Vorderseite des Hofes war von alters her 
ein Heiligenbild angebracht. Sepp ließ es erneuern. 
Er war ein frommer, gottesfürchtiger Bauer und 
hielt auf strenge Zucht bei dem Gesinde. 
Lange Zeit störte nichts Unheimliches die Ruhe 
des Hofes. Auf Sepp folgte fein Sohn Hans. Auch 
der war brav. Er war der Letzte seines Geschlech 
tes auf diesem Besitz. Nach ihm kam der Hof in 
andere Hände. Und da ging „es" merkwürdiger 
weise wieder an. 
Unheimliche Geräusche, Erscheinung der schwar 
zen Frau. Und immer noch erzählte man sich die 
Sage vom Verschwinden einer Fremden in diesem 
Hof, nur wußte man nicht mehr, wann das eigent 
lich gewesen war und unter welchem Besitzer. 
Schwere Zeiten kamen, Pestjahre. Die Leute be 
haupteten, das Erscheinen der schwarzen Frau be 
deute immer Unglück. 
Die Menschen waren durch die Seuche weniger 
geworden, sie waren zur Arbeit kostbar. Auf dem 
gewissen Hof wollte kein Knecht, keine Magd mehr 
dienen. Rattenplage trat auf, überall im Hof huschte 
das ekle Getier herum und war nicht anzubringen. 
Da zog sich der Besitzer mit Weib, Kindern und 
Gesinde ganz in die Mühle am Bach hinunter, die 
immer noch beim Hof verblieben war. In der 
Mühle rührte sich nichts, da war stilles, friedliches, 
gesundes Leben. Man baute den Stall noch grö 
ßer an, daß man auch das Vieh hinunterbringen 
konnte. Der Hof lag nun unbewohnt, doch brauchte 
man ihn zur Aufbewahrung der Fechsung, denn 
dazu war die Mühle zu klein. 
Oft dachte der neue Besitzer daran, das Gehöft 
überhaupt zu verkaufen, aber es waren gute, er 
tragreiche Gründe dabei und man konnte sich nicht 
recht entschließen. 
So stand der Hof leer, öde und wurde dennoch 
immer wieder notdürftig hergehalten, wegen der 
großen Tenne und dem Stadel, die ja unentbehr 
lich waren. 
Einmal, zweimal im Jahr fühlte sich die Bäuerin 
auch verpflichtet, die Stuben und Kammern putzen 
zu lassen. Die Leute gingen dann aber immer alle 
mitsammen hinauf und achteten, daß ja keines 
allein war, so unheimlich war es ihnen, so fürch 
teten sie sich. So ging es Jahrzehnte. Nichts be 
herbergte der Hof mehr als die lieben Feldfrüchte. 
Der Brunnen wurde schadhaft, in den Keller 
drang Wasser ein, Mühle und Hof wechselten einige 
Male ihren Herrn. 
Als die Franzosen einfielen und das Land Ober 
österreich überschwemmten, drang auch ein Trupp 
in die Mühle ein. Der Bauer wies ihnen ein Nacht 
lager in dem verlassenen Hof an, dort hätten sie 
Platz und es wurde gut gerichtet, so daß sie wohl 
zufrieden sein konnten. Sie waren es auch und sie 
wurden ganz lustig. 
„Keine schönen Mädeln da?" fragte ein junger 
Übermut. Der Besitzer gab ihm keine Antwort. 
Die aufgezwungenen Gäste blieben aber nur eine 
Nacht. Dann schauten sie, daß sie weiterkamen. Der 
Bauer fragte nicht, warum. 
Aber der junge Leichtsinn von gestern rief ihm's 
zu, als sie abmarschierten und er das Haus hinter 
ihnen schließen wollte. 
„Mit solcher Dame, wie du da drin hast, wol 
len wir nichts zu tun haben!" Und den Bauern 
überlief es kalt. 
Wieder flössen die Jahre unaufhaltsam durch die 
Zeit. 
Immer noch stand der Hof öde; nur was schad 
haft war, wurde ausgebessert. Immer noch dachte 
jeder Besitzer daran, ihn einmal zu verkaufen und 
immer noch schwieg die Sage nicht still. Immer 
noch wußte man, daß in diesem Hof vor alten Zei 
ten eine Frau verschwunden war. 
So lag das Gebäude wenig gebraucht, gemieden, 
halb verlassen, bis eine Zeit kam, die wieder nach 
ihm griff. 
Der Weltkrieg war zu Ende. Alles änderte sich. 
Stadtleute strebten nach Landbesitz. In den Nach 
kriegsjahren kauften Mühle und Hof mehrere städ 
tische Geschwister; sie waren gebildete Leute, zwei 
Brüder und sechs Schwestern, manche davon noch 
jung, andere im kräftigsten Alter. Sie waren evan 
gelisch, jedoch duldsam und friedfertig. Sie wußten 
beim Kaufabschluß noch nichts von der düsteren Ge 
schichte. 
Zum Wohnen bezogen auch sie die Mühle, weil 
das schon so üblich war. Obwohl sie frei von allem 
Gespensterglauben waren, empfanden sie vor dem 
ödstehenden Hof doch von allem Anfang an eine 
gewisse Scheu. Das Haus war jetzt schon in einem 
ziemlich herabgekommenen Zustand. Man hätte 
viel Geld hineinstecken müssen, um es wieder zu 
sammenzurichten. Das Dach war schlecht. Der Fech 
sung wegen mußten es die Geschwister mit vielen 
Opfern wieder erneuern. Sie wirtschafteten sich 
anfangs schwer, kamen aber dann darein. Sie er 
fuhren endlich doch die Sage, die sich an das An 
wesen knüpfte. Sie zuckten die Achseln dazu und 
wollten nicht abergläubisch sein. 
In der Mühle draußen weilten meist drei Schwe 
stern und ein Bruder, ein junger Ingenieur. 
Zur Erleichterung der Arbeit hielten sie gern 
junge Ackerbauschüler, sogenannte Praktikanten und 
Adjunkten. 
An einem Herbsttag des Jahres 1925 arbeitete 
solch ein junger Adjunkt allein in dem Hof droben. 
Er war erst kurze Zeit hier und konnte noch nichts 
von der grauen Mär wissen. Er war mit der Weg 
schaffung von Heu beschäftigt. Er hatte schon das 
Meiste weggebracht. Gerade wollte er sich nach dem 
Letzten bücken und wendete sich dem Boden zu — 
da erstarrte er vor Schreck. 
„Um Gottes willen!" Vor ihm auf den Brettern 
lag der Leichnam einer Frau, schwarz gekleidet, mit 
entsetzlich verfallenem, bleichem Gesicht. Die Gestalt 
hatte den Schauer des längst Gewesenen — Ver- 
wesenen an sich.
	        
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