Volltext: Österreichischer Volkskalender 1936 (1936)

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Es bleibt alles ruhig. Keines hat lang Zeit zum 
Nachdenken. Die Arbeit ruft, das Tagwerk geht 
seinen Gang. 
Der Bauer und die Leut' sind draußen im Freien 
beschäftigt: die Bäuerin ist allein in der Küche mit 
der Kucheldirn. 
Eins der Kinder, ein frischer Bub, der Sepperl, 
lauft auf einmal in den Hof hinaus, kehrt zurück. 
„Mutter", meldet er, die schwarze Frau, die ge 
stern auf die Nacht zu uns kommen is, is jetzt wie 
der draußen auf dem Tenn gestanden — und dann 
war sie weg." 
„Also doch noch da!" sagt die Bäuerin schier er 
leichtert. „Geh noch einmal hinaus, Sepperl, und 
führ sie herein!" 
„Aber Mutter, sie is ja jetzten nimmer da!" 
„Aber geh!" Sufanna selber geht. Sie sieht nichts, 
hört nichts. Sie ruft wieder. Keine Antwort. Sie 
sieht noch einmal überall nach. Nichts, nichts. 
Sie kommt in die Küche zurück. „Sepperl, dir 
träumt am hellichten Tag!" 
Aber der bleibt dabei: „Ganz genau hab i s' 
g'sehn und asten is sie zergangen!" 
Die Kuchlin tut einen Hellen Schrei, laßt eine 
Schüssel fallen, daß sie klirrend am Boden zerbricht. 
„Bäurin, dös is a Geist! Dö Frau war a Geist 
schon gestern, wie s' kumma is! Drum hat f schier 
nixi essen mögen! Jesus, Maria und Josef!" 
Susann« zürnt. „Red nit so dalkert daher!" 
Sie geht selbst wieder auf den Tenn, den Heu 
boden, das Kind und die Magd, so sehr sich die 
auch wehrt, müssen mit. Sie durchstöbern das ganze 
Heu, alle Winkel — nichts, nichts! 
Die Bäuerin atmet ordentlich auf. Die Magd 
aber nimmt sich an der Küchentür einen ordent 
lichen Weihbrunn und sprengt ihn herum für die 
Armen Seelen. „Denn dös war a arme Seel', ge 
stern!" 
„A Arme Seel?" Der Bäuerin ist es allzu rät 
selhaft. 
Schon bei der Jause am Vormittag erfahren die 
andern das Geschehnis. Die Männer rühren sich 
nicht viel, glauben an keine Geister und der Roß 
knecht stellt fest: 
„A Landstörzerin war s', dö bei der Nacht da 
von is!" 
Die Mägde nehmen den Gespensterglauben ernst, 
tuscheln und fürchten sich, bis sie der Bauer an 
fährt: 
„Jetzt seid's amal stad mit dem dummen 
Gwascht! Daß i nix mehr hör!" 
Da sind sie still und die Arbeit zerstreut bald 
wieder alle. 
Tagelang bleibt's ruhig auf dem Hof. 
Der Tobias unterhandelt mit dem alten Müller 
am Bach und die Mühle wird sein. Der Müller 
zieht weg, zu einem jüngeren Bruder. Der Wes 
macht sich in der Mühle viel zu schaffen. 
„Die mueß ihn recht gefreuen", meinen die Leut'. 
Er aber flieht in Wahrheit nur sein eigenes Haus, 
das ihm unheimlich geworden ist. Finster, ernst 
und in sich verschlossen, sogar seinem Weib und den 
Kindern gegenüber, ist und bleibt er — wie viele, 
die den Bauernkrieg mitgemacht haben. Auf die 
Mühle hat er vorsichtig erst nur eine kleine An 
zahlung geleistet. 
Wochenlang rührt sich nichts. Der Bauer läßt 
auch das alte Dach auf dem Hof ausbessern, nur 
ausbessern. Gar zu viel Geld auf einmal darf er 
nicht sehen lassen. 
Er hält die Taglöhner gut, auf einmal aber ar 
beiten sie nimmer gern. „Im Stadl geht's um", 
sagen sie. Natürlich schimpft der Tobias dagegen. 
Aber sie machen ihre Arbeit eilig fertig und schauen, 
daß sie weiterkommen. 
Wieder ist es still. Dann einmal abends, wäh 
rend das Gesinde ißt, fällt ohne Grund das Herr 
gottskreuz von der Wand herab. Und eine halbe 
Stunde drauf kommt eine Magd zitternd zum Bau 
ern gelaufen: die schwarze Frau stehe droben vor 
ihrer Kammer! 
An diesem Abend weint Susann«. Und der 
Bauer, der steht in einem verschwiegenen Winkel 
und ringt die Händ' und wünscht, es wär' alles — 
seine Untat — nur ein Traum und die Fremde 
wirklich nur ein Gespenst gewesen! 
Aber daß sie das nicht war, davon ist das Geld 
und der Schmuck der Beweis — und die Mühle — 
und das Hausdach, denn das ist alles da! „Hätt' 
i's nit tan! Da hat der Teufel sein Gespiel dabei 
gehabt!" — Grausen und Reue — zu spät! Durch 
seine Schuld ist sein Haus ein unheimliches Heim 
geworden! 
Hat jemand von der Nachbarschaft die fremde 
Frau an jenem Abend hineingehen sehen in den 
Hof? Man redet auf einmal im ganzen Dorf, eine 
blasse, schwarze Fremde sei an dem und dem Tag 
gesehen worden, dann sei sie in den Hof des Tobias 
gegangen — und nimmer heraus! 
Der Bauer will sich nicht an das Gered' kehren. 
Aber auch er muß sie hören des Nachts, die un 
heimlichen Geräusche, die den ganzen Hof durch 
ziehen, so daß das Vieh unruhig wird, muß sie 
spüren, die Bangigkeit, das Grauenvolle, das all 
mählich alle Räume erfüllt. 
Eine Dirn läuft mitten unter der größten Arbeit 
davon. „I halt's nimmer aus!" 
Immer „gibt's" was in dem Haus. 
Dabei wird die verschwundene Fremde von nie 
mand gesucht. Keiner ihrer Angehörigen erscheint, 
um nach ihr zu forschen. Man läßt auch den Bau 
ern und den Hof ganz in Ruhe. Es liegt nichts vor 
gegen ihn. Er ist ein ehrlicher Mensch, der sich nie 
was zuschulden hat kommen lassen. Wer fragt auch 
in den rauhen Zeiten, wo nur der Mann als Hau 
degen gilt, nach einem Frauenleben, nach dem Ver 
bleib einer irren Fremden? Es war, als hätte sich 
die seltsame Dame hier nur gezeigt, um zu ver 
schwinden.
	        
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