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und zwei winzige, silberne Vrünnlein rinnen über
die Wangen. „Mutter im Grab", denkt sie, „du
weißt es, mein Leben ist dünn, mein Leben ist
sauer; aber ich muß mich durchbeißen, Unsere
Liebe Frau steh mir bei . . ." So eine Ernste ist
die Leni.
Heller dringt es durch das Fenster. Die Sonne
steigt rot in den grauen Himmel. Die Wipfel drau
ßen glimmen im Schein. „Ja", denkt die Leni
weiter, „ich muß mich durchbeißen und ich muß es
dem Vater sagen, sonst brennt es mir die Seele
heraus . . ."
Der Toni aber rennt hinaus und schreit dem
Einöder zu: „Das Heu ist weg und der Zucker ist
weg, kein Bröserl ist mehr da . . ."
Der Einöder pafft den Rauch aus der Pfeife
und lacht den Toni an. „Hm . . ." sagt er, „jaja,
das Christkindl. . ."
Die Uhr schlägt still in der Stube. Aus dem
Stall steigt Dampf und Wärme. Der Knecht gibt
den Rössern vor; die Magd richtet Futter und
Trank für das Vieh. „Heut' Nacht", wispert sie
beiläufig zur Leni hin, „heut' Nacht hat mir von
einer Leich' träumt, gibt's leicht bald eine Hoch
zeit!" lacht sie giftig und ihre Augen funkeln
schwarz.
Blaß vor Zorn steht die Leni am Herd.
Grau und düster wie ein Mühseliger geht der
Tag über die Einöd; geht er über Vater, Tochter
und Sohn, über Hügel und Hänge, über Schnee
nnd Wald.
*
Wenn man von der Einöd ins Dorf hinunter
will, darf man gutding zwei Stunden rechnen.
In der schönen Jahreszeit ist es ja ein Kinderspiel;
aber im Winter, wenn Pfad und Weg verschneit,
ist es keine leichte Wanderschaft.
Das Dorf ist klein; die Dächer hängen tief zur
Erde und die Fenster sind eng und arm. Eine alte
Turmuhr, die ernst in den Tag, in die Nacht ruft,
Dengelton, Drischelklang und Abendläuten, das
gibt es dort — und steinalte Ahnfrauen mit spinn
webzarten Stimmlein und harten, herben Holz
schuhen und viel, viel Wald.
Schon vor langer Zeit hatten die Einödbauern
halben Wegs zum Dorf eine Kapelle erbaut. Dort
hin gehen sie, wenn der Weg zum Dorf zu hart
und etwa an den Sonntagnachmittagen; denn ein
Sonntag ohne Kirche ist geringer als ein Werktag.
Das Kirchlein ist nicht ausgemalt und das Stuhl
werk ist von rohem Holz. Nur der Betstuhl in der
Mitte vor dem Altar ist gepolstert. Dort thront
das Bild Mariens und daneben steht in arger
Marter St. Sebastian. Auch der heilige Florian,
der Feuerlöscher, hebt sein Wasserkrüglein in die
Höhe. Von der Decke herab, in ärmlichem Be
hälter, flackert das Ewige Lichtlein wie ein himm
lisch Aug'.
Hinter der Türe hängt, von rauhem Strick ge
halten, eine Pflugschar, alt und still. Daneben
liegt ein eisern Stück. Dies ist des Kirchleins sin
nig Glockenwerk
„Läuten muß ich", brummt der Elmerknecht,
„daß die Herzen brausen", nimmt das Eisenstück
und schlägt es auf die Pflugschar, daß sie dröhnt
und singt, Worte aus der Ackerfurche gebrochen,
Worte von Lerchen beschenkt, heilige Rufe des
Herrn.
Und die Nacht, die Heilige Nacht, leuchtet mit
tausend Kerzen am Himmel über Feld und Flur
und breitet den Mantel der Botschaft über Hügel
und Berge, die knienden Hirten gleich sich nieder
bücken ins Wunder der Nacht. Der Heiland ist
geboren!
Wer nicht hinunter konnte ins Dorf zur Mette,
kniet in der Kapelle; Knecht und Magd, Bäuerin
und Kind, das ganze Kirchlein ist voll und die
Schatten der vermummten Beter gehen an dek
Mauer hin und her. Heilig zittert das Ewige Licht
und ein Kripplein, süß und fromm, steht auf dem
Altar.
Der alte Grienervater betet vor; er ist so alt wie
eine hundertjährige Linde, darein die jungen Jahre
ihre märchenhaften Herzlein zeichneten, und wie
er so kniet mit wallendem Bart und wie er so
betet, da beben seine Worte wie die eines Königs
vor dem Herrn der Welt und tief und warm
braust der Chor in den Stühlen nach, die Acker-
fäuste gefaltet überm pochenden Herzen.
Christus, der Retter ist da . . .!
Und die Sonne wird ihre Bahn wieder zu hö
herem Bogen wenden und das Kühlein im Stall
und das Kälblein am Stroh wird das Zünglein
zur Sprache heben im Frieden dieser Stunde.
„Gelobt sei der Herr in alle Ewigkeit . . ."
„Amen . . .!"
Langsam erheben sie sich und gehen wieder heim,
am Acker vorbei, hierhin, dort hinein, heim in du
Einschicht.
Vor dem Kirchlein steht ein Bursche, etwas ab
seits, und wartet. Sein Gesicht ist frisch und seine
Augen sind gut. Wie die Leni aus der Kapelle
tritt, zupft er sie leicht am Tuch. Erschrocken vor
Freude, reicht sie ihm schnell die Hand, die er fest
drückt, als hätte er, weiß der Himmel, wie lang
gewartet auf diese Hand.
„Martl", sagt die Leni hastig, „ich hab' gebetet
zu Unserer Lieben Frau, ich hab' gebetet Tag und
Nacht, heut' sag ich es ihm . . . Und kommt es,
wie es mag, immer gehör' ich dir . . ."
Die hagere Gestalt des Einöders erscheint und
sie folgt ihm sogleich, seine Schritte treten tieft
Fußstapfen in den Schnee. Mit Mühe und Not
nur kommt sie mit, so weit zieht er aus.
Einsam steigen sie den weißen Hügel hinauf.
„Vater", beginnt die Leni sanft, „ich hab' lang
geschwiegen, jetzt aber muß ich sprechen ..."
Der Einöder bleibt jählings stehen und wendet,
sich.
„Der Grienerbauer hat einen Knecht", fährt sie
weiter, „und der heißt Martl . . ."
„Was ist's nachher? Weiter?"
„ und dem hab' ich mich versprochen!"