Volltext: Österreichischer Volkskalender 1936 (1936)

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Mit der.Schusterei des Gottfried Piringer in 
Haindorf hat es nicht mehr recht gehen wollen, 
seitdem sich der neue Schuster im Orte ansässig 
gemacht hat. Die Zeit ist vorbei gewesen, daß sich 
die Haindorfer Leut' mit jedem Flicken zufrieden 
gegeben haben, den der Piringer schlecht und recht, 
wie halt ein Dorfschuster seine Sache verstand, auf 
ihre Stiefel gesetzt, und auch die Mädeln haben 
nicht nur den Kleidern, sondern auch dem Schuh 
werk der Städterinnen so manches abgeguckt, das 
sie ihnen nachmachen wollten. 
Weil nun der Piringer Gottfried die Schuhe so 
gedeichselt, wie er es vor fünfzig Jahren gelernt, 
der neue Schuster aber dem Zeitgeschmack entgegen 
gekommen ist, sind die Leute diesem in die Werk 
statt gelaufen, der alte Schuster aber hat manchen 
Tag feiern müssen, weil sich zu ihm keine Arbeit 
verirrt hat. Das hat ihn nicht wenig gekränkt und 
seinem schusterlichen Ehrgefühl eine tiefe Wunde 
geschlagen. Und eines Tages ist sein kleiner Laden 
mit dem verrosteten Blechstiefel als Schild ver 
schlossen geblieben, er selbst aber ist in der Ge 
meindekanzlei vor dem Bürgermeister gestanden 
und hat ungefähr folgendes zu ihm gesagt: 
„Bürgermeister, mein Geschäft geht nicht mehr. 
Der neue Schuster hat mir alle Kundschaften weg 
geschnappt. Weil aber der Mensch von der Luft 
allein nicht leben kann und ich schon das Alter 
hab', so möcht' ich halt um Aufnahme ins Armen 
haus bitten." 
Der Bürgermeister hat ihm nichts ab- oder zu 
gesagt, hat versprochen, die Sache vor den gesam 
ten Gemeindetag zu bringen, und richtig: acht Tage 
später ist der Piringer Gottfried in das Haindor 
fer Armenhaus übersiedelt. 
Wer aber geglaubt hat, daß der alte Schuster 
jetzt einen Tag wie den andern mit Nichtstun tot 
schlagen werde, ist auf einem Holzweg gewesen. , 
Freilich, es hätte ihm ganz gut getan, wenn er 
sich um nichts mehr zu sorgen und kümmern ge 
braucht hätte, aber — die Mehlsuppe zum Früh 
stück hat ihm halt gar nicht schmecken mögen, das 
„Pfeiferl", das er vordem nie aus dem Munde ge 
bracht, hat was zum Qualmen verlangt, und hie 
und da wäre er auch gerne auf ein Schöpplein ge 
gangen. 
„Auskennen muß man sich, sonst rauckt (raucht) 
nichts raus", ist einmal ein Leibfprüchel des Pi 
ringer Gottfried gewesen, und das hat er auch 
jetzt hervorgesucht, um etwas leichter durch das 
Leben zu kommen. Ist's mit der Schusterei nim 
mer gegangen, vielleicht geht's mit der Dichterei, 
denkt er eines Tages und — wird wirklich ein 
Dichter. Freilich, nicht über Nacht, ein winzig klei 
ner Hans Sachs ist er schon längst überm Leder 
klopfen und Flickensetzen gewesen. Und auch einer, 
der im Winter den Sommer besingt, der die Worte 
kunstvoll setzt und in blühendem Unsinn spricht. 
Den Leuten, die sich fürs Leben zusammengetan, 
die der Herrgott in das Dasein gerufen und die sich 
aus ihm wieder davongeschlichen haben, hat sein' 
„Gedichtets" gegolten, Namenstagsgratulationen, 
Marterlverse hat er gemacht, schlecht und recht, wie 
und was ihm gerade eingefallen ist. Haben seine 
Gesetze! das Licht der Druckerschwärze auch nicht 
erblickt, so haben sie ihm doch etwas eingetragen 
in klingenden Batzen oder in natura, und das ist 
ihm letzten Endes doch die Hauptsache gewesen. 
Bei manchem Taufschmaus hat er auch seinen Teil 
bekommen und nach mehr als einem Leichentrunk
	        
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