Volltext: Oberösterreichischer Preßvereins-Kalender auf das Jahr 1931 (1931)

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Deutschland niemand gefunden haben, dem 
es um eine alte Hose leid war." 
Mit einem stummen Händedruck verab 
schiedete sich der Fremde, der durch den Anzug 
gänzlich verwandelt ist. Schlank und ge 
schmeidig hüpft er die Treppe nieder und winkt 
dem großmütigen Geber, der ihm noch lange 
nachsieht, von der Straße ans einen letzten 
Gruß zu. 
Hans Hebentanz aber eilt mit dem Wald 
blumenstrauß zu seiner glückstrahlenden Braut, 
ein Hochgefühl im Herzen, das ihm tausendmal 
mehr gilt, als der verschenkte Anzug, an den er 
bald nicht mehr denkt. 
Die Zeit vergeht. 
Hans Hebentanz wird Buchhalter bei seiner 
Firma und ist nun in der Lage, seine Lisa 
heimzuführen. 
Tage des Glückes brechen an. 
Die Zeit vergeht. 
Tage der Sorge und des Leides kommen. 
Die Firma kommt in Konkurs, Hans Heben 
tanz wird stellenlos. Seit Wochen und Monden 
ein Suchen und Jagen nach einem neuen 
Posten. Alles vergeblich. Bedauerndes Achsel 
zucken ist überall die übliche Antwort. Die 
letzten Sparpfennige gehen zur Neige. Ver 
zweiflung übermannt den Gehetzten. Gibt es 
in Deutschland wirklich keine Firma mehr, die 
für einen bewährten Angestellten einen Posten 
als Buchhalter oder doch als Schreiber frei 
hat? 
Die Zeit vergeht — und der Hunger tut 
weh. 
Schon ist der neue, blaue Anzug versetzt, 
den Hans Hebentanz vor Jahresfrist fo stolz 
getragen hat am Geburtstag seiner Braut. 
Wie gut könnte er jetzt den dunklen Anzug 
brauchen, den er gerade heute vor einem 
Jahre einem Wanderburschen ans Düsseldorf 
verschenkt hat. 
Mitten in sein trübes Sinnen schellt die 
Flurglocke. Lisa öffnet. Ein vornehmer junger 
Mann stellt sich vor: „Hubert von Feldburg. 
Kann ich Herrn Hebentanz sprechen?" 
„Bitte!" 
Hans steht schon unter der Tür. Ein 
Lächeln des Erkennens geht über seine ein 
gefallenen Züge: „Hubert von Feldburg? 
Wenn Sie nicht von Adel wären, dann meinte 
ich . . ." 
„Ich wäre der Wanderbnrsch, dem Sie vor 
Jahresfrist den schönen Anzug schenkten. Ja, 
ich bin es wirklich. Und ich bin gekommen, 
Ihnen meinen Dank abzustatten." 
Sie treten in die ärmliche Stube. 
„Ich habe mich über Ihr Ergehen auf dem 
Laufenden gehalten, Herr Hebentanz und ich 
glaube, ich komme zur rechten Stunde. Wissen 
Sie, der Wanderbnrsch war nur eine Laune 
von mir. Ich wollte sehen, wer in Deutsch 
land noch ein Herz hat, wenn ein Mensch in 
höchster Lebensnot. Und das waren Sie, 
Herr Hebentanz, der einzige von Tausenden, 
die ich um eine alte, abgetragene Hose anging. 
Sie gaben mir einen ganzen Anzug mit allem 
Zubehör. Nun gestatten Sie, daß ich Ihnen 
meinen Dank bezeuge. Ich suche nämlich 
für meine Güter am Rhein draußen einen 
kaufmännisch befähigten Direktor, der ein Herz 
hat für die Leute. Und da ist meine Wahl auf 
Sie gefallen, Herr Hebentanz. Der Posten ist 
in jeder Weise erstklassig. Sie werden Ihre 
eigene Villa haben und zeitlebens aller Sorgen 
enthoben sein. Denn ich beabsichtige selbst 
verständlich nicht, Ihnen jemals zu kündigen. 
Sie werden ' bei mir eine Heimat finden. 
Ihre Frau Gemahlin wird gegen mein An 
erbieten wohl nichts einzuwenden haben." 
Tränenströme sind die Antwort auf das 
unerwartete Glück, das den Leidgeprüften in 
der Stunde der höchsten Not in den Schoß 
gefallen, wie vom Himmel gesandt. 
„Dann ist es ja recht", fährt Hubert von 
Feldburg fort. „Und nun auf gute Freund 
schaft für alle Zeit. Für jetzt darf ich Sie beide 
zum Mittagessen im Hotel einladen und nach 
mittags machen wir einen Geburtstagsausflng 
ins Gebirge. Morgen packen Sie Ihre Sachen 
und dann geht's fort an den schönen Rhein — 
iu das neue Glück!"
	        
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