134
„Maria hilf!" fleht sie in ihrer Angst. Da
neigt sich das Bild noch mehr vom Postament,
als wollte ihr die Madonna selbst den rettenden
Gedanken eingeben, unter das Gestell aus
Silberdraht zu schlüpfen, das ihr Mantel be
deckt. Vorsichtig zieht sie das Bild ganz vom
Sockel und läßt es, sich mit beiden Händen
gegen das Innere der Glocke stemmend, über
ihren schmalen Körper gleiten. Nun ist sie
wohlgeborgen.
-i- *
*
Der Kosak mit dem Feuerbrand hat am
Fuße des Altares die goldene- Weltkugel ge
funden. Begierig dreht er sie in seiner Hand
und sieht, daß es Gold ist. Wo das ist, ist noch
mehr, denkt er und leuchtet zur Madonna.
Ihr Kleid ist mit Edelsteinen besetzt und aus
dem Haupte trägt sie eine glitzernde Krone.
Beutelüstern will er dannach greifen. Da
bewegt sich das Bild und steigt vor seinen er
schreckten Augen die Stufendes Altares hinab.
Der Kosak fühlt, wie ihm die Haare zu
Berge stehen. Die Fackel entsinkt seiner
Hand.
„Ein Wunder!" schreit er entsetzt mit
überschlagender Stimme.
Die Schläfer fahren auf von diesem Ge
schrei. Wachen sie, träumen sie? Die Madonna
kommt auf sie zu. Sie sehen es ganz deutlich
im Mondenlicht, das durch die hohen Fenster
quillt. Und diese wilden, bärtigen Männer er
greift eine längstvergessene Kinderfrömmig
keit. Nieder ins Knie sinken sie und bekreuzigen
sich, während die Madonna mitten durch ihre
Reihen aus der Kirche schreitet.
Und noch zur selben Stunde verließen die
Kosaken, ihre Pferde bescheiden am Zügel
führend, das Gotteshaus und ritten noch
mitten in der Nacht aus dem Dorf.
Der Kommissär aber mußte unverrichteter
Dinge nach Moskau zurückkehren.
Es ist ein Schnitter, der heißt Tod
Eine Weihnachtsskizze
Eine leise Wehmut lag auf dem blassen
Knabengesichte. „Mutter, wann kommt denn
der Christengel zu uns?"
Eine abgehärmte Frau fuhr sich über die
Wangen. „Schau, Rudolf, das kann ich dir
noch gar nicht sagen, vielleicht überhaupt" . . .
sie sagte es nicht aus und kämpfte mit Tränen.
Ticktack machte die Küchenuhr — ein schönes
Stück — das Letzte aus guten, alten Tagen.
Ein leises Hüsteln im Nebenraum und dann
eine schwache Stimme. „Ja, Vater, ich bin
gleich fertig!" Mit einer dünnen, leeren Suppe,
die noch dampfte, eilte die Frau zum Bette
ihres kranken Mannes. „Wie geht's dir? Bist
noch immer so schwach?" Ängstlich fragte es
die Frau. „Nein, es geht mir schon viel
besser — dabei leuchteten die matten Augen
des Fiebernden auf — „es wird bald vorüber
sein . . . ." „Franz, Franz, tu' mir das nicht
an", die arme Frau schluchzte laut auf — „ich
verkaufe das Letzte, daß der Doktor noch ein
mal kommen kann". Der Kranke hatte die
Suppe ausgelöffelt und den mageren Leib
in die dürftigen Kissen zurückgleiten lassen.
Erschien wieder einzuschlafen. Das Einnehmen
der Suppe hatte ihn zu arg angestrengt.
„Mutter, schau, es liegt schon viel Schnee
draußen und noch immer schneit es. Gelt,
jetzt kommt ganz gewiß das Christkind!" Die
blanken, guten Augen des Kleinen leuchteten
warm auf. Jetzt sah er die Tränen in den
Augen seiner lieben Mutter. „War ich bös,
liebes Mutterl, weil du weinst?" Erschrocken
richtete sich die arme Frau auf.
„Nein, Rudolf, ich weine aus Freude, weil
heute der Weihnachtstag ist. Aber weißt, ich
muß noch einige Besorgungen machen und
lasse dich mit Vater allein. Gib acht auf ihn,
wenn er etwas verlangt. Ich bin bald wieder
hier."
Sie nahm einen alten, abgetragenen
Mantel, band sich ein Wolltuch um und ging ...
Der blonde Junge hatte sich ein abgegriffenes
Büchlein geholt, das einzige, das ihm gehörte.
„Aus der Weihnachtszeit", so hieß der Titel.
Er hatte sich zum Herd gesetzt — noch knisterte
ein halbverbranntes Holzscheit — und begann
zum zwanzigstenmale das Märchen vom
Christbaum zu lesen. Es wurde ihm wohlig
warm, dazu tickte ganz sacht die Uhr und
langsam fi-elen ihm die Augen zu. Und das
Köpfchen sank auf die Stuhllehne zurück und