Volltext: Oberösterreichischer Preßvereins-Kalender auf das Jahr 1928 (1928)

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wachs! Wenn f den andern noch sucht, ging' 
ihr das eine da schon in den Weg — 's tät 
net gut! Und 'leicht doch! Vielleicht grad 
jetzt am ehesten, daß es sich einschmuggeln 
läßt. Und 's wär' auch so, daß es dann ganz 
dableiben könnt'. Man müßt sich halt denken, 
daß es ein Enkerl wär'." 
In tiefen Gedanken ist der Cinöder 
nach oben in den ersten Stock gekommen, 
verkauft seine Butter und geht dann wieder 
die Stiege hinunter. Mit einem Male sogar 
recht rasch. Und ist auch rasch aus dem 
Hause. Er braucht niemand seines Weges 
zu fragen. Cr weiß seit langem, wo das 
Rathaus steht, ist oft daran vorbeigekommen. 
Dort wird jetzt die kleine Waise mit der 
Frau sein, wenn sie nicht schon wieder davon 
sind. So schnell seine Füße voran wollen, 
schreitet er aus. Kommt zum Rathaus, 
tritt ein und fragt den Hausmeister, ob er 
nicht wüßt', ob eine Frau mit einem Kind 
noch da wär' im Gemeinde-Amtszimmer. 
Es wird ihm die Antwort, die zwei könnten 
noch da sein. Eine kleine Weile später steht 
er selber im Amtszimmer. Und es dauert 
gar nicht lange, da hält er das Kind an der 
Hand — er darf es mitnehmen, vorläufig 
auf kurze Zeit als Gast. Wenn er es darnach 
für ganz haben will, muß er sich mit der 
Gemeinde ins Einvernehmen setzen. Dann 
wird die Sache gemacht werden. 
Da geht er mit dem Kinde heimwärts. 
Er vergißt ganz, daß er Nägel und noch 
allerlei anderes hat kaufen wollen. Erst 
draußen am Rand der Stadt fällt ihm ein, 
daß er der Bäuerin Zucker und Kaffee hat 
heimbringen wollen, da geht er mit dem 
Kind in die letzte Krämerei und erwischt 
ein bißchen Kaffee, Zucker ist gerade keiner da. 
Es ist eine gute Stunde Weges bis heim. 
Einmal läßt er in einem Wirtshause, an dem 
sie vorbeikommen, dem Kind etwas Milch 
geben, und es trinkt gierig. Manchmal 
schwatzt er mit dem Kinde und erfährt so 
mancherlei. 
Dann sind sie vor dem Hause. Da schiebt 
er die Kleine in den Flur und von da in die 
Wohnstube. Sein Blick trifft auf die Bäuerin, 
sie sitzt am Fenster und schaut herüber, als 
er eintritt, aber daß er das Kind vor sich 
herschiebt, scheint sie gar nicht zu bemerken. 
Bis daß er es dicht vor sie hinstellt. „Muatter, 
da is eins, was Hunger hat und eine Pfleg' 
braucht —■ was sagst dazu?" 
Freudlos gleitet ihr Blick über das Kind j 
hin. „Was nimmst es mit?" 
„Weil's keinen Vater und keine Muatter I 
mehr hat. Der Vater is im Krieg gfallen ß 
und die Muatter is vor ein paar Tag' I 
gstorben. 's hat keinen Menschen mehr auf l 
der Welt. Meinst net, Leni, daß wir uns da 
annehmen könnten darum?" Wir könnten j 
ja den Hunger stillen und hätten auch ein 
Bett dafür. Was meinst —?" 
Die Frau zuckte die Achseln. Ihr Gesicht > 
blieb ohne Schein. „Wenn du meinst." 
Mechanisch stand sie auf und richtete ein 
Essen her für den Mann und das Kind, - 
richtete zuletzt auch ein Bett zurecht. Es jj 
geschah ohne eine Spur von Freude oder | 
warmer Anteilnahme. Und auch die nächsten j 
Tage und Wochen war es so. Das Kind 
lief auf dem Gütel herum, als gehöre es I 
da her, nur der Bäuerin gegenüber war es k 
scheu. 
Der Frühling kam und die Blumen j 
wuchsen zahlreich. Das Röserl war manchmal 
weit in den Wiesen draußen. Einmal kam 
sie lange nicht herein und da suchte sie die 
Bäuerin, weil sie nicht wußte, wo es hin 
geraten sei und es doch eben etwas besorgen 
sollte. Am Waldrand drüben fand sie die 
Kleine, die da auf dem Boden hockte und 
ein kleines Hügelein mit Steinen umlegt 
hatte, während es nun Blümelein, die es 
auf der Halde gepflückt hatte, ordnete und 
damit das Hügelein belegte. 
„Was tust denn?" fragte die Bäuerin. 
„Ein Graberl herrichten. Weil ich n et zu 
Vaters oder Mutters Grab kommen kann, 
da richt' ich mir da ein Graberl und denk' 
mir, da drunten liegt meine Mutter und 
mein Vaterl, und da kann ich dann beten, 
als wär' ich am richtigen Grab." 
„So?" sagte die Bäuerin. „So?" Und 
ging gedankenreich heim, man sah es an 
ihrem Gesichte. 
Am nächsten Abend, als sie eben das i 
Essen auf den Tisch gestellt hatte, trat der 
Bauer in die Stube. „Bist schon fertig?" ! 
fragte er befriedigt. „Ist 's Röserl da?" 
Die Bäuerin schüttelte den Kopf. 
„Net? Na, da will ich 's holen." 
Aber fast heftig gebot die Bäuerin: „Setz' 
dich hin! Ich hol's selbst."
	        
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