Volltext: Oberösterreichischer Preßvereins-Kalender auf das Jahr 1921 (1921)

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„Barmherziger Himmel", rief dieser, 
„das kann nur ein brennendes Schiff sein! 
Ob die Mannschaft sich gerettet hat? Aber 
bei solchem Sturme! Wir müssen sofort 
alle Signale hissen, vielleicht gelingt es den 
Bedrohten, sich an unser Schiff heran 
zuarbeiten." 
Gesagt, getan. So schnell als möglich 
wurden die Signallaternen angezündet und 
bald glänzten dieselben an den Masten weit 
hin in die dunkle Sturmesnacht hinaus. 
Sorgfältig richteten Peter und Gustav 
nun wieder ihre Aufmerksamkeit auf das 
brennende Schiff und lugten scharf aus, ob 
nicht irgendwo ein Boot mit der geretteten 
Mannschaft desselben herankommen würde. 
Allein nichts zeigte sich. Gegen 3 Uhr ver 
schwand die Röte; das Schiff war offenbar 
untergegangen. Etwa eine Stunde später 
begann das Unwetter sich zu- legen. Die 
Brüder legten sich jetzt zu kurzer Rast 
wieder, allein der Schlummer wich von 
ihren Augen und noch lange vor Sonnenauf 
gang waren sie wieder auf dem Verdeck. Da 
heftete Gustavs scharfes Auge sich bald auf 
einen Gegenstand, der auf der noch immer 
erregten Fläche auf das Wachtschiff zutrieb. 
„Wahrhaftig, eine Planke und darauf 
ein Mensch festgeklammert ! Geschwind, daß 
wir ihn retten. Vielleicht ist noch Leben in 
ihm!" 
Fetzt trieb die Planke auf den Schiffs 
körper zu und gleich darauf glitten beide 
Brüder in das Boot hinab, welches an der 
Seite des Wachschiffes lag. Gustav beugte 
sich zu dem anscheinend Leblosen herab, 
um ihn in das Boot zu ziehen, da fiel sein 
Blick auf d!e Züge desselben. „Wahrhaftig, 
er ist's", murmelte er halblaut und wendete 
sich zu Peter: „Bringe ihn sorgsam hinauf, 
ich will im Boote verbleiben." Der Wunsch 
wurde befolgt, Peter legte den Geretteten 
" auf dem Verdeck nieder. „Er lebt noch!" 
rief er dem Bruder zu. 
In diesem Augenblicke rollte eine Welle 
heran., Gustav verlor das Gleichgewicht und 
stürzte zwischen Boot und Schiffswand ins 
Wasser. Das kleine Fahrzeug preßte ihn 
gegen das Schiff. 
Mit einen: Satze sprang Peter ins 
Wasser und befreite den Bruder aus seiner 
überaus gefahrvollen Lage. Cs war zu 
spät. Das Boot hatte ihn heftig gegen die 
Brust gedrückt, wodurch wahrscheinlich neue 
innere Verletzungen entstanden waren. Gu 
stav stöhnte und winrmerte im Uebermaße der 
Schmerzen. Als er endlich unter vieler 
Mühe und Anstrengung auf das Schiff ge 
bracht war, seufzte er noch die Worte: „Ist 
er gerettet? Mit mir geht's zu Ende." Dann 
verlor er die Besinnung. Als er nach Ver 
lauf von zwei Stunden wieder erwachte, 
saß sein Bruder weinend neben ihm. „Wo 
ist der Gerettete?" fragte Gustav mit schwa 
cher Stimme. 
„Er liegt anscheinend in tiefem Schlum 
mer", klang die Erwiderung zurück. „Aber 
sage mir, Bruder, welch ein Aussehen hat 
der Mensch! Seine Gesichtszüge sind düster 
und verraten einen geradezu unheimlichen 
Charakter." 
„Das glaube ich", hauchte Gustav. „Das 
böse Gewissen wird ihn ja schon gekenn 
zeichnet haben." — „Höre, Bruder Peter", 
fuhr er nach einer kleinen Weile fort, „der 
Gerettete, •— ich kenne ihn — es ist Matthias 
Hinrichsen, derselbe —" 
Peter war aufgesprungen. „Derselbe, 
der dein Leiden und zuletzt auch noch deinen 
Tod verschuldet hat! Laß mich — — 
„Um Gottes willen, was hast du vor?" 
„Ich will hinauf, den Elenden zurück 
schleudern ins Meer!" 
„Bleib'", hauchte der Sterbende. „Willst 
du einen Mord begehen? Vergebet, so wird 
euch vergeben. Er hat mir mehr Leid-—' 
zugefügt — als dir. — Ich habe ihm ver 
ziehen, — verzeihe auch du! — versprich 
mir dieses!" Die. Stimme des Leidenden 
war schwach und zitternd. Peter reichte 
ihm die Hand und versprach, dem Geretteten 
verzeihen zu wollen. Gustav begann noch 
mals: „Ich danke dir. — Es freut mich — 
meinem Feinde — Gutes getan, das Leben 
gerettet — zu haben. O Jesu, sei mir 
gnädig!" 
Ein heftiges, krampfhaftes Zittern über 
flog den Körper des Unglücklichen. Roch 
ein wiederholtes schmerzliches Stöhnen, 
ein dumpfes Röcheln — Gustav weilte 
nicht mehr unter den Lebenden. .Weinend 
und betend verharrte der Bruder an seinem 
Sterbelager.
	        
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