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„Barmherziger Himmel", rief dieser,
„das kann nur ein brennendes Schiff sein!
Ob die Mannschaft sich gerettet hat? Aber
bei solchem Sturme! Wir müssen sofort
alle Signale hissen, vielleicht gelingt es den
Bedrohten, sich an unser Schiff heran
zuarbeiten."
Gesagt, getan. So schnell als möglich
wurden die Signallaternen angezündet und
bald glänzten dieselben an den Masten weit
hin in die dunkle Sturmesnacht hinaus.
Sorgfältig richteten Peter und Gustav
nun wieder ihre Aufmerksamkeit auf das
brennende Schiff und lugten scharf aus, ob
nicht irgendwo ein Boot mit der geretteten
Mannschaft desselben herankommen würde.
Allein nichts zeigte sich. Gegen 3 Uhr ver
schwand die Röte; das Schiff war offenbar
untergegangen. Etwa eine Stunde später
begann das Unwetter sich zu- legen. Die
Brüder legten sich jetzt zu kurzer Rast
wieder, allein der Schlummer wich von
ihren Augen und noch lange vor Sonnenauf
gang waren sie wieder auf dem Verdeck. Da
heftete Gustavs scharfes Auge sich bald auf
einen Gegenstand, der auf der noch immer
erregten Fläche auf das Wachtschiff zutrieb.
„Wahrhaftig, eine Planke und darauf
ein Mensch festgeklammert ! Geschwind, daß
wir ihn retten. Vielleicht ist noch Leben in
ihm!"
Fetzt trieb die Planke auf den Schiffs
körper zu und gleich darauf glitten beide
Brüder in das Boot hinab, welches an der
Seite des Wachschiffes lag. Gustav beugte
sich zu dem anscheinend Leblosen herab,
um ihn in das Boot zu ziehen, da fiel sein
Blick auf d!e Züge desselben. „Wahrhaftig,
er ist's", murmelte er halblaut und wendete
sich zu Peter: „Bringe ihn sorgsam hinauf,
ich will im Boote verbleiben." Der Wunsch
wurde befolgt, Peter legte den Geretteten
" auf dem Verdeck nieder. „Er lebt noch!"
rief er dem Bruder zu.
In diesem Augenblicke rollte eine Welle
heran., Gustav verlor das Gleichgewicht und
stürzte zwischen Boot und Schiffswand ins
Wasser. Das kleine Fahrzeug preßte ihn
gegen das Schiff.
Mit einen: Satze sprang Peter ins
Wasser und befreite den Bruder aus seiner
überaus gefahrvollen Lage. Cs war zu
spät. Das Boot hatte ihn heftig gegen die
Brust gedrückt, wodurch wahrscheinlich neue
innere Verletzungen entstanden waren. Gu
stav stöhnte und winrmerte im Uebermaße der
Schmerzen. Als er endlich unter vieler
Mühe und Anstrengung auf das Schiff ge
bracht war, seufzte er noch die Worte: „Ist
er gerettet? Mit mir geht's zu Ende." Dann
verlor er die Besinnung. Als er nach Ver
lauf von zwei Stunden wieder erwachte,
saß sein Bruder weinend neben ihm. „Wo
ist der Gerettete?" fragte Gustav mit schwa
cher Stimme.
„Er liegt anscheinend in tiefem Schlum
mer", klang die Erwiderung zurück. „Aber
sage mir, Bruder, welch ein Aussehen hat
der Mensch! Seine Gesichtszüge sind düster
und verraten einen geradezu unheimlichen
Charakter."
„Das glaube ich", hauchte Gustav. „Das
böse Gewissen wird ihn ja schon gekenn
zeichnet haben." — „Höre, Bruder Peter",
fuhr er nach einer kleinen Weile fort, „der
Gerettete, •— ich kenne ihn — es ist Matthias
Hinrichsen, derselbe —"
Peter war aufgesprungen. „Derselbe,
der dein Leiden und zuletzt auch noch deinen
Tod verschuldet hat! Laß mich — —
„Um Gottes willen, was hast du vor?"
„Ich will hinauf, den Elenden zurück
schleudern ins Meer!"
„Bleib'", hauchte der Sterbende. „Willst
du einen Mord begehen? Vergebet, so wird
euch vergeben. Er hat mir mehr Leid-—'
zugefügt — als dir. — Ich habe ihm ver
ziehen, — verzeihe auch du! — versprich
mir dieses!" Die. Stimme des Leidenden
war schwach und zitternd. Peter reichte
ihm die Hand und versprach, dem Geretteten
verzeihen zu wollen. Gustav begann noch
mals: „Ich danke dir. — Es freut mich —
meinem Feinde — Gutes getan, das Leben
gerettet — zu haben. O Jesu, sei mir
gnädig!"
Ein heftiges, krampfhaftes Zittern über
flog den Körper des Unglücklichen. Roch
ein wiederholtes schmerzliches Stöhnen,
ein dumpfes Röcheln — Gustav weilte
nicht mehr unter den Lebenden. .Weinend
und betend verharrte der Bruder an seinem
Sterbelager.