Volltext: Oberösterreichischer Preßvereins-Kalender auf das Jahr 1914 (1914)

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Ern verlorenes Brllet. 
^sls Reisepaß gilt heute das Billet. 
-<r Früher schalt man über Paßqnälereien; 
jetzt fordert man das Billet und auf manchen 
Bahnen wird von den Schaffnern alle paar 
Stationen auch des Nachts die Türe auf 
gerissen und das Billet abgefordert. Da 
gibt es denn bei halbverschlafenen Leuten 
ein Suchen in allen Taschen, im Porte 
monnaie, in der Brieftasche; jeder 
hat sein Billet wo anders stecken. Aber 
wenn man's nur findet! Mancher hat 
. es gut aufgehoben, es ist aber absolut 
nicht zu finden. Die Verlegenheit steigt 
und immer heftiger fährt der Un 
glückliche in seinen Taschen herum, 
die Mitreisenden helfen suchen und 
raten, das macht den Mann noch kon 
fuser — endlich sagt er mit matter 
Stimme: „Ich hab's verloren." 
So ging es einem Herrn auf 
einer Reise; er mußte die ganze Strecke 
nochmals bezahlen, die der Zug ge 
fahren war. Als er nun unter all 
gemeinem Bedauern Abschied nahm, 
schrieb sich ein Mitreisender seine 
Adresse auf, im Falle sich das Billet 
vielleicht fände, um ihm dann den 
Betrag zuzustellen. 
Die Reisenden durchsuchten noch 
mals das Coupe — endlich, nach 
langem Suchen fand sich das Billet 
in einer Ecke auf dem Boden des 
Coupes. Der Reisende, welcher sich 
vorhin die Adresse aufgeschrieben, kam 
des folgenden Tages zur Hauptstation und 
reklamierte; nach langem Hin- und Her 
reden wurde der Betrag zurückgezahlt. Er 
schrieb nun voll Freude an den Herrn und 
sandte ihm das zurückgezahlte Geld. Dieser 
war hocherfreut und dankte dem völlig 
fr mden Manne für seine Mühe. Es war 
zwar nur ein geringer Dienst, aber der 
Mann hatte doch Laufereien und ver 
säumte seine Zeit. 
Inzwischen waren Jahre vergangen. 
Da ward eines Tages ein gelähmter Mann 
vom Bahnhöfe des Kurortes Teplitz in 
Böhmen in die Stadt hereingefahren, ein 
Bild des Jammers. Niemand ist bei ihm; 
in Jahresfrist hat er sein Weib und sein 
einziges Kind verloren, das Leid hat ihn 
aufs Krankenbett geworfen, ein Schlagfluß 
ihn gelähmt. So ward er denn am zweiten 
Tage von einem Lohndiener in den schönen 
Kurgarten gefahren, mitten tü die Menschen 
hinein, die der Bademusik zuhörten. Auf 
den blassen Zügen des Kranken lagerte 
Innviertlerinnen. 
stilles Leid; er fühlte sich doppelt einsam. 
Da blieb ein Herr in geringer Ent 
fernung vor ihm stehen und schaute ihn 
lange an. Der Kranke merkte dies und 
schlug die Augen nach ihm auf. Der fremde 
Herr kam jetzt auf ihn zu und sagte: „Ent 
schuldigen Sie, wenn ich mich vielleicht 
irre, aber sind Sie nicht der Herr — der mir 
einst so freundlich das Billet wieder zurück 
erstattete?" Da tauchte auch iu'dem blassen 
Kranken die Erinnerung auf und er ant 
wortete: „Ja, der bin ich." 
Was sie nun miteinander verhandelt, 
mag sich nun der geneigte Leser selbst aus 
malen. Aber wer tags darauf und die
	        
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