Volltext: Oberösterreichischer Preßvereins-Kalender auf das Jahr 1912 (1912)

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böse Worte gegeben, um mich von dir los 
zureißen. Du kannst dir gar nicht vorstellen, 
was das für ein Gezerre war, denn sie 
hat gemeint, die Welt ginge unter, wenn's 
einmal anders ginge als ,reich zu reich und 
gleich zu gleich'. Aber immer war ich guten 
Mutes, denn ich wußte gewiß, sie gibt doch 
nach, weil du so tüchtig bist und weil ich 
ihr Einziger bin. Und jetzt, wo wir auf 
den Berg hinaufgekommen sind und die Hoch 
zeit im Herbst sein soll, da kommt das Unglück, 
daß deine Mutter vom Wagen fällt und — 
wäre, als ob die Sonne nicht wiederkäme, 
und es bliebe immerfort Nacht." 
„Eher bleibt es immerfort Nacht, als 
daß ich aufhöre, dich gern zu haben", sagt 
leise das Mädchen. — „Aber zu Hause 
warten sie mit Schmerzen auf mich. Leb- 
wohl, Konrad, grüß deine Mutter, ich schreibe 
dir die Woche einmal, wie es daheim steht." 
Und so gehen sie auseinander. 
Als Maria den engen, dunklen Flur e 
des elterlichen Hauses betritt, hört sie rechts 
in der Kammer ein leises Kinderweinen 
Hrotzes Htscnvahimngkück in Mottenmann. 
Wir bringen im Bilde das furchtbare Eisenbahnunglück bei Nottenmann am 20. September 1910 U'N 2 Uhr früh, wobei acht 
Personen getötet, neun Personen schwer und 19 leicht verletzt wurden. Der Materialschaden allein beträgt 250.000 Kronen. 
Er hält einen Augenblick inne und fährt 
dann leiser fort: „Vielleicht kriegst du 
Trauer und wer weiß, wie lange es dann 
währt, bis wir zusammenkommen." 
Das Gesicht des Mädchens ist ernst 
geworden; dann aber huscht ein leises Lächeln 
darüber: „Aber, Konrad, du hast doch das 
Warten gelernt oder traust du mir nicht? 
Du meinst wohl, ich würde dir untreu und 
käme nicht wieder!" 
Da faßt der Bursche heftig ihren Arm, 
daß es schmerzt: „Rede so etwas nicht, 
Maria! Wenn du nicht wiederkämst, das 
und wieder eine andere Stimme, die zu 
trösten versucht. 
Rasch öffnet sie die Tür: „Was weinst 
du denn, Christian?" 
Doch der Junge kann vor Schluchzen 
keine Antwort geben; da fragt sie den 
anderen: „Warum weint er denn, Adolf?" 
„Ach, Maria, er hat noch so argen 
Hunger. Es hat uns kein's was gekocht, 
heut Mittag. Der Vater sitzt am Bette 
der Mutter. und weint in einem fort und 
im Schrank war nur noch ein kleines 
Brotkrüstchen."
	        
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