Volltext: Oberösterreichischer Preßvereins-Kalender auf das Jahr 1911 (1911)

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Leibe des Mitterlehner. Bewaffnet waren sie 
jetzt und sie gaben nicht nach, bis sie er 
lahmten und ihren erregten Gemütern genug 
getan war. 
Die letzten Schläge verspürte der arme 
Mann gar nicht mehr. Da lag er ohne 
Bewußtsein, hintenüber gesunken und aus 
den Wundendeszerstochenen und geschlagenen 
Körpers verrann ohne Rettung sein warmes, 
kräftiges Leben — . 
Die Nacht stieg herauf. Eine Nacht voll 
Ruhe und Segen, voll Duft und köstlicher 
Frische. 
Im feuchten Tau auf moosigem Grunde 
lag eine stille Gestalt. Aber diese Gestalt, 
so regungslos sie auch dalag, entweihte die 
heilige Stille der Sonntagsnacht. Entweihte 
jene Ruhe, die dem Herrn gehört, wo er seg 
nend umhergeht und seine Getreuen mit neuen 
Kräften für den kommenden Werktag stärkt. 
-»388S«- 
jDr. Karl Emegers Mutter. 
« roße Männer verdanken ihr Bestes 
ihren Müttern" — dies oft wieder 
holte Wort findet sich in der Ge 
schichte so vielfach bestätigt, daß etwas Wahres 
daran sein muß. Einen vollen Beleg dafür 
finden wir wieder in dem Leben des ver 
storbenen Wiener Bürgermeisters Dr. Karl 
Lueger. 
Seine Mutter Juliana, Tochter eines 
Tischlermeisters, wird als eine Frau von 
seltenen Charaktereigenschaften gerühmt, und 
diese sind unverkennbar auf den Sohn über 
gegangen. Von seiner Mutter erbte Doktor 
Lueger die kernhafte, kraftvolle Tüchtigkeit 
im Denken und Tun, die unermüdliche 
Arbeitslust, das goldene Herz voll warmer 
Liebe zu den Mitmenschen, aber auch Gott 
vertrauen und unverwüstlichen Frohsinn. 
Die Hauswirtschaft hielt Frau Lueger ohne 
jede fremde Beihilfe in peinlichster Ordnung. 
Ihr lag auch hauptsächlich die Erziehung 
der Kinderschar ob, da der Vater durch den 
Dienst als Schulhausmeister die meiste Zeit 
vom Hause ferngehalten wurde. Und die 
energische, kluge Frau nahm es ernst mit 
der Erziehung und sie verstand sich wohl 
auf diese Kunst der Künste. Es war keine 
Kleinigkeit, den kleinen Karl, den Feuerkopf 
zu zähmen und seinen früherwachten Taten 
drang in die richtige Bahn zu lenken. Schon 
der Knabe hat auf den Wiener Straßen 
und Plätzen sein streitbares Naturell nicht 
verleugnet. „Das Raufen und Schneeballen 
wersen war meine Passion", bekennt Doktor 
Lueger von sich. „Die Mutter war anderer 
Meinung. Sie brummte tüchtig, wenn ich 
zerzaust nach Hause kam, aber es bereitete 
ihr doch Freude, daß ich Mut im Kampf 
bewiesen hatte." 
Aber sie erlebte Freude an ihrem Karl 
von Anfang an. In der Elementarschule 
war er in allem „Borzugsschüler" und 
brachte Jahr um Jahr seinen Preis heim, 
zur hohen Freude der Mutter. Diese stellte 
die gewonnenen Preisbücher auf einer 
Kommode in eine Reihe und wenn Besuch 
kam, sagte sie mit Stolz: „Die gehören 
dem Karl." Ja, Karl war der Stolz und 
die Hoffnung der Frau Juliana. Sie war 
keineswegs blind für seine reichen Anlagen 
nud tat alles zu ihrer richtigen Ausbildung. 
Während sonst selbst gebildete Frauen ihre 
Söhne sich selbst überlassen, sobald sie die 
Hallen klassischer Bildung betreten, stand diese 
einfache Frau dem Gymnasiasten Karl als 
strenger Mentor zur Seite. „Wenn ich 
müde aus der Schule in das bescheidene 
Zimmer trat", so erzählte er selbst, „begann 
die Mutter mit mir die Unterrichtsgegen 
stände durchzunehmen. Sie, die einfache 
Frau aus dem Volke, las mit mir die Reden 
Ciceros — sie verstand kein Wort davon, 
sie folgte bloß mit peinlicher Aufmerksamkeit 
den Worten des Textes — und wehe, wenn 
ich eine Stelle unrichtig zitierte. Sie hielt 
mich streng zum Lernen an und ihr ver 
danke ich vieles." 
Nicht bloß viel von seinem Wissen und 
Können verdankt er seiner trefflichen Mutter, 
sondern nach seinem eigenen Ausspruche „all 
sein Lieben, sein Sinnen und Trachten, seine 
Erfolge und seine Größe". Sie gab seinem
	        
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