Volltext: Oberösterreichischer Preßvereins-Kalender auf das Jahr 1911 (1911)

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sie über den Umgang ihrer Kinder wache. 
Ihm wäre gewiß nie eingefallen, den 
Charakter der Nachbarsbuben zu studieren 
und sie darauf anzusehen, ob Gutes oder 
Schlimmes von ihnen zu erwarten sei. 
Jetzt kamen der Bauer und die Bäuerin 
miteinander ins Schwatzen. Ein Wort gab 
das andere und sie sprachen über die Kinder, 
über das Gesinde, den Viehstand und das 
Hauswesen, über ihre Ehe, über die Ver 
gangenheit und die Zukunft geradeso wie 
ein Paar, die sich lange nicht gesehen haben 
und nun eine ganze Menge, was sie schon 
immer zusammen besprechen wollten, nach 
zuholen haben. 
Dem Hochlehner war gesagt worden, 
als er Bräutigam war, daß seinem zu 
künftigen Weibe ein wundersam tiefes Ge 
müt zu eigen sei und sich mit ihr zu unter 
halten, sei eine gar köstliche Sache. Sie 
besitze eine selten unterhaltsame Weise und 
wisse Ernst und Scherz vortrefflich unter 
einander zu mischen. 
Der junge Mann hatte auf diese Rede 
kaum hingehorcht, denn er war in jener Zeit 
so toll verliebt in seine Lene gewesen, daß 
er sich an ihrem rosigen Gesichtlein und den 
glänzenden Augen gar nicht satt sehen 
konnte und immer nur aufs Kosen und 
Schäckern dachte. 
Diese Gefühlsaufwallungen hatten sich 
mit der Zeit gelegt, und dann war es dem 
Hochlehner ergangen, wie es den meisten 
Männern zu ergehen pflegt, die ja sonst 
ganz brave Gesellen und treue Gatten sind, 
aber nach dem Verlauf der Flitterwochen 
ihrer Ehe keinen besonderen Reiz mehr ab 
zugewinnen wissen. Mit den Seelen ihrer 
Frauen, wenn sie überhaupt daran denken, 
daß diese eine solche besitzen, verstehen sie 
rein nichts anzufangen, und daher kommt 
es wohl auch, daß es so viele langweilige 
und gleichgültige Ehen gibt. 
Heute nun fiel es dem Hochlehner mit 
einem Male ein, wie man ihm einstmals in 
Bräutigamszeiten seine Lene geschildert hatte. 
Ja, gewiß und wahrhaftig, so wie sein Weib 
sahen die Leute mit einem tiefen Gemüte 
dem Leben wohl ins Gesicht. Ihre Reden 
und Antworten fielen ihm auf. Da war 
alles so vielgestaltig und bunt, und ein 
jedes Ding hatte eine ganz besondere Fär 
bung, an die eben ein anderer gar nicht 
dachte. 
Er hatte nie geglaubt, der Hochlehner, 
der allgemein als sehr weise und erfahren 
galt, daß sich mit einem Weibe alles so 
gut erörtern lasse. Und es war doch sein 
eigenes Weib und da kam er erst heute 
Bilder aus Dberösterreich: Aas Innere der Stadl 
Pfarrkirche in Aied. 
Phot. Koop. Menner. 
darauf. Nun ja, an Werktagen war halt 
nie eine Zeit zum Schwatzen, am Abend 
war man streichmüde und an Sonntagen — 
niemals beisammen. 
„Bis jetzt war man niemals beisammen", 
stieg es in dem Bauern auf der Leiter guter 
Vorsätze herauf und zugleich mit diesem Ge 
danken erwachte auch mit einem Male ein 
lebhafter Ekel vor der rauchigen Wirtsstube 
mit ihrem Gejohle darin und dem wüsten 
Gelärme, in dem nachdenklichen Manne.
	        
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