Volltext: Oberösterreichischer Preßvereins-Kalender auf das Jahr 1911 (1911)

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das Leben gar nie recht Zeit dazu fänden. 
Aber am Sonntag, am Ruhetag, am Tage 
des Herrn, da sollten sie es tun. Da sollten 
sie ihren Kindern in die klaren Augen schauen 
und sie würden darin lesen, daß diese süßen, 
kleinen Geschöpfe Gottesgeschenke seien und 
auch als solche zu halten und zu behüten 
seien. Das sei ein mächtiger Ansporn zu 
Bilder aus Oberösterreich: Are neue Kerz Jesu 
in Wels. 
Die Kreuzsteckuug dieser prächtigen Kirche fand am 22. August 
einer frommen, christlichen Erziehung, die 
sich durch das Heranwachsen braver Kinder 
für Zeit und Ewigkeit reichlich lohne. Und 
habe denn der Mann schon einmal recht 
gesehen, wie schön es eigentlich auf der Erde 
sei? - 
Ach, du mein Gott, da kam er ja gar 
nicht dazu vor lauter Pflügen, Säen und 
Ernten, Hasten und Werken vom frühen 
Morgen bis in die sinkende Nacht. Da sei 
nun auch wieder der Sonntag der richtige 
Tag, um einmal ruhig und behaglich durch 
die Fluren zu wandern, in die Runde zu 
schauen, hinauf in den blauen Himmel zu 
gucken, dem Fluge der Vögel zu folgen und 
dabei die unsterbliche Seele zu fühlen, die 
ja auch nach oben gehöre. Da hätten sie 
nun schon eine ganze Menge Sonntags 
genüsse, aber er, der Prediger, sei 
mit dem Aufzählen noch immer 
nicht fertig, weil die Männer ja 
doch das Lesen gelernt hätten, und 
weil es gute und lehrreiche Bücher 
und Zeitungen gäbe und aus diesen 
allerhand Anregung undangenehme 
Unterhaltung zu schöpfen, sei just 
wieder der Sonntag der richtige 
Tag. O, die lieben Familienväter 
sollten es nur einmal versuchen, 
nach diesem Rezepte die Sonntage 
zu verleben, sie würden schon sehen, 
wie ihnen dadurch für Leib und 
Seele nur eitel Gewinn und Nutzen 
erwüchse. Und sie würden es dann 
gar nicht mehr begreifen können, 
daß sie einmal die schönen Sonntag 
nachmittagsstunden in dem dumpfen 
Wirtshaus versitzen konnten, um 
sich für den folgenden Werktag einen 
wüsten Kopf und schlaffe Glieder 
zu holen . 
Der Mitterlehner brachte am 
Schlüsse der Predigt das übliche 
„Vergelt's Gott" nicht über die 
Lippen, dafür aber lieferte er im 
hastigen Drängen aus der über 
füllten Kirche eine rohe, rücksichts- 
> Kirche lose Kraftleistung ohnegleichen und 
stand dafür auch als der erste auf 
Iso» statt, dem Dorfsträßlein draußen. 
Ha! — Wie er aufatmete. Ganz 
verteufelt heiß war ihm in der Kirche ge 
worden. Noch weit mehr von der Predigt, 
als von dem eingekeilten Sitzen. Kreuz 
schwerenot ! Was hatte er doch für hirnlose, 
läppi'che Worte anhören müssen. — 
Nur schon das eine, das Süßtun mit 
Weib und Kindern. Wenn man das etwa 
übte! Das wäre doch eine lächerliche, über 
die Maßen geschmacklose Komödie, und 
ebenso das Lesen und Spazierengehen. Das
	        
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