Volltext: Oberösterreichischer Preßvereins-Kalender auf das Jahr 1907 (1907)

(115) 
Herr! auch ich habe zuweilen Blumen ge 
pflanzt und außerhalb ihres Erdreiches sind 
sie schnell verwelkt und mir sagte meine 
Mutter, daß die Blume des Armen bald 
vergessen werde im Lande der reichen Herren." 
„Komm her zu mir!" fiel ihr da der 
junge Mann in die Rede, „ich täusche dich 
nicht. Ich liebe dich. Seit vielen Tagen 
schon beobachte ich jeden deiner Schritte und 
habe keine Lust mehr zu andern Dingen. 
O, fürchte nicht, daß ich je deiner vergessen 
könnte, die mir in das Innerste meines 
Herzens gewachsen ist." 
„Aber Ihr? Wer seid Ihr?" 
fragte darauf die liebliche Jungfrau, 
indem sie mit holder Scheu ihre 
glänzenden Augen zu dem vor 
nehmen Herrn erhob, der eine so un 
gewohnte Sprache mit ihr führte. 
„Das Städtchen, wo ich ge 
boren bin, liegt wie ein Edelstein 
zwischen zwei Bergen des Apennin 
auf dem Hochlande, das mit der 
Adria liebkost, reich au Lorbeern, 
Oelbäumen und Reben. Von dort 
zog ich weg, als ein armer Junge, 
der nichts hatte, als in seiner 
Seele eine unbegrenzte Welt von 
Bildern und Gestalten und in 
seinem Herzen die glühendste Liebe 
zur Kunst. So bin ich durch ganz 
Italien gewandert und habe über 
all Schöpfungen von meiner Hand 
zurückgelassen und jetzt erfreue ich 
mich des Rufes eines braven 
Malers." 
„Wer immer Ihr auch seid," 
erwiderte freimütiger das Mädchen, „so 
sollt nun auch Ihr wissen eine Einbildung 
meiner Phantasie. Wenn ich mein Leben und 
meine Liebe einem Maler weihen könnte, 
so hat mein Herz seine Wahl schon getroffen. 
Es ist ein edler Künstler nach Rom gekommen, 
gesehen habe ich ihn nocht nicht, aber ich 
hörte reden von dem Mächtigen, dem die 
Madonna vom Himmel erscheint, um von 
ihm abgebildet zu werden. Er ist von 
Urbino und nennt sich mit dem Na 
men eines Engel " 
„Der bin ich," unterbrach sie der junge 
Mann, „ich bin Rafael von Urbino." 
Das liebliche Antlitz der holden Jung 
frau übergoß bei diesen Worten purpurne 
Glut und sie schwieg. 
Gerade in diesem Augenblick flogen zwei 
glänzende Schmetterlinge, getragen von den 
leisen Lüftchen des Abendwindes, über sie hin. 
Der Malerfürst bemerkte sie und auf sie 
deutend, die von Blume zu Blume flatterten 
sprach er, während das Mädchen schwieg: 
„Wundersam ist unser Leben, meine Liebe, 
wie das Leben dieser zwei glücklichen Falter, 
immer inmitten des April, ein beständiges 
Nsfaels Tod. 
Gemälde in der Galerie Ufici, Florenz. 
Suchen nach den Blumen der Freude, ein 
immerwährendes Hasten nach dem Glück. 
Wenn wir glauben es gefunden zu haben, 
entflieht es und kehret oft nimmer zurück. 
Heute fühl ich mich glücklich hienieden, 
alles lächelt mir zu. Die Luft, die du atniest, 
scheint mir zu schwellen von den Liedern 
der gefiederten Sänger, und erfüllt mit 
flüchtigem Dufthauch der Blumen, die Wasser 
und die Gelände singen das ewige Epitha- 
lamium der Liebe: o, Mädchen habe auch 
du mich lieb!" 
Fast furchtsam, als könnte er eine ab 
schlägige Antwort bekommen, reicht er ihr
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.