Volltext: Oberösterreichischer Preßvereins-Kalender auf das Jahr 1907 (1907)

(102) 
Unsere liebe Frau vom Siege. 
von A. «rafft. 
sfr in dämmernder Sommermorgen lag über 
'■«r' der Weltstadt Paris. Die ersten Lichter 
des Tages rangen mit dem Dunkel der 
Nacht um den Sieg, und jenes eigenartige 
Zwielicht schwebte 
über der Millionen 
stadt, das, nicht Nacht 
noch Tag. auf das 
Menschenauge einen 
unangenehmen Ein 
druck macht. , 
Paris ruhte noch; 
nur wenig Lärm 
drang aus der Riesen 
stadt in das ärmliche 
Voicy herüber, eine 
Art Vorort der Fran 
zosenstadt. 
In Voicy dagegen 
regten sich bereits 
viele Hände: in den 
Ställen melkte man 
Kühe und Ziegen, 
um deren frische 
Milch nach Paris zu 
fahren; in den Gärten 
erntete man Gemüse 
oder schnitt Blumen 
ab zu demselben 
Zwecke. 
Fast in jedem der 
schlichten Landhäus 
chen war man sehr 
geschäftig; nur eine 
einzige Hütte, die 
jenige der Witwe 
Valenne, lag wie tot, 
wie ausgestorben da. 
Die arme Valenne wird wieder bett 
lägerig sein, meinten die Dorfgenossen zu 
einander, wenn sie am Häuschen vorbei 
schritten. „Die Bedauernswerte! Wohnt ganz 
allein in ihrem Nestchen.und wenn ihr Sohn 
Gaston nicht alle Morgen vor Tagesanbruch 
aus Paris herübereilte, um der Mutter die 
nötigsten Liebesdienste zu tun, wer weiß, 
was aus der Witwe schon geworden wäre! 
Nachdruck verboten. 
Unsere liebe Frau vom Liege in Paris. 
Denn unsereins hat am Eigenen genug zu 
werken und zu schaffen und kann sich um 
fremde Not wenig kümmern." 
In der Tat kam Gaston Valenne soeben 
wieder die große, 
breite Straße daher 
geschritten, die von 
Paris nach Voicy 
führt. Er lief mehr 
als er ging, grüßte 
hastig nach links und 
rechts seine Dorfge 
nossen und eilte 
schnurstracks auf das 
Häuschen der Mutter 
zu. Ein sorgenvoller 
Blick aus den ernsten, 
fast wehmütigen 
Augen des jungen, 
schlanken Mannes, 
der die schlichte Ge 
wandung eines Be 
diensteten trug, fiel 
auf das schlecht be 
stellte, sehr vernach 
lässigte Gärtchen 
neben dem Häuschen; 
dann trat Gaston 
hastig ein. 
Er tastete sich 
durch den noch dunk 
len, kleinen Flur des 
Hauses und öffnete 
behutsam die niedrige 
Türe der Wohnstube; 
dieselbe war leer. 
„Mutter schläft 
noch," flüsterte der 
Jüngling für sich, indem er auf das einzige 
Fensterchen des Stübchen zu schritt, um es 
zu öffnen und frische Lust hereinzulassen. 
Wie vorsichtig der Jüngling aber auch 
zu Werke ging, die morschen Fensterrahmen 
verursachten beim Oeffnen doch ein kleines 
Geräusch, und im selben Augenblicke ließ sich 
auch aus der anstoßenden Kammer, die mit 
dem Wohnraume und dem Flur das ganze
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.