Volltext: Oberösterreichischer Preßvereins-Kalender auf das Jahr 1903 (1903)

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rung Leni zu dem Vater trat mit der 
schüchternen Frage, ob ihm etwas fehle, da 
hatte er ihr das blonde Haar gestrichen und 
leise gemurmelt: „Mein armes, liebes 
Kind!" 
6. Glück und Frieden. 
Endlich war der Frühling wieder ins 
Land gezogen; auf den Feldern sproßte und 
grünte die junge Saat, und auch in den 
Menschenherzen, die so lange unter der 
Schneedecke von Kummer und Leid geseufzt 
hatten, begann die Hoffnung neu zu keimen. 
An einem sommerwarmen Sonntagmorgen, 
kurz nach der Heimkehr aus der Kirche, trat 
Anton in seinem besten Festtagsstaat klopfen 
den Herzens vor den alten Förster hin und 
bat um die Hand der Leni. 
Anton war jetzt nicht mehr der arme 
Schlucker von ehedem und konnte seiner 
Frau ein zwar bescheidenes, aber gesichertes 
Los bieten. Doch nicht hierauf berief er sich, 
sondern auf seine treue Liebe zu Leni, als 
er den Förster bat, sie ihm zur Frau zu geben. 
Und wie gerne jetzt der alte Steinbacher 
einwilligte und wie selig darob die Leni war, 
und wie innig der gute Anton dankte! Nur 
die alte Muhme blieb ruhig bei all dem 
Jubel und Trubel, sie hatte ja des Mädchens 
Herzensgeheimnis längst gekannt und es 
schien ihr ganz natürlich, daß alles so ge 
kommen, wie's eben gekommen ist. 
Jahre sind vergangen. — Vom Ignaz 
hat niemand je wieder etwas gehört. Er 
blieb verschollen. Ob ihn noch eine irdische 
Vergeltung für seine ruchlose Tat ereilt, 
wer konnte es wissen?! Die Muhme, die 
immer wunderlicher wurde und deren Ge 
danken sich fast nur um Vergangenes drehten, 
schüttelte oft weissagend den grauen Kopf: 
„Dem Sünder kann es nimmer Wohlergehen," 
verhieß sie, „denn seine Schuld geht mit ihm, 
wohin er auch entflieht. Der Tag kommt, 
wo das Gewissen aufschreit und ihn mit 
brennender Reue martert, wär's auch erst in 
seiner Todesstunde." — 
Des Bauern Anton Hof aber ist jetzt 
einer der schönsten der ganzen Gegend. Die 
Wirtschaft ist im besten Zuge, und Herr und 
Gesinde arbeiten freudig und fleißig. Der 
Bäuerin sieht man es an den roten Backen 
und strahlenden Augen an, daß das Glück 
unter ihrem Dache wohnt, und die zwei 
kleinen Buben, die genau die blonden Haare 
der Mutter und die kräftigen Fäuste des 
Vaters haben, sind der Stolz und die 
höchste Freude des alten Großpapa, der 
allsonntäglich vom Forsthause herüberkommt, 
sich an dem Glück seiner Kinder zu erfreuen. 
— Auch die Waldkapelle steht in neuem 
Schmuck da. Sie ist der Gegenstand besonderer 
Sorgfalt der jungen Eheleute. Stets brennt 
ein Lämpchen vor dem Muttergottesbilde, 
und so oft es nur geht, finden sich Anton 
und Leni in der Kapelle ein, wo sie der 
lieben Gottesmutter für so vielen Schutz und 
Segen danken, aber auch, um für die Seele 
des so schaurig ums Leben gekommenen 
Amberg zu beten. 
Bei bcv IXebevf&ixoetrwrtvinQ. 
(Zum Bilde Seite 111.) 
Das arme Tier, angekettet an die Hundshütte, wurde es von den wild einher 
brausenden Wogen fortgerissen. Die Jungen haben sich an die Hündin angeschmiegt, die 
ein Mark und Bein durchdringendes Jammergeschrei ausstößt. Nicht lange wird es dauern 
und eine Woge reißt die ganze Hundefamilie in die Tiefe.
	        
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