Volltext: Oberösterreichischer Preßvereins-Kalender auf das Jahr 1902 (1902)

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Eine sonderbare gereizte Stimmung be 
mächtigte sich des Jägers. Diese steigerte 
sich, je mehr er trank, tanzte, spielte — verlor. 
Düster stierte er eine Minute vor sich, 
die Faust geballt, eine Minute später lachte 
er wieder auf, seine Stimmung zu verstellen. 
Dann stierte er wieder hin, dann wieder ein 
Fluch, ein höhnendes Lächeln. ... 
Als es zwölf Uhr schlug, traten kräftige 
Männer auf den Grasenjäger zu, ihn zu 
fassen. Er wehrte sich mit den kräftigen 
Fäusten, bis er sah, es sei vergebens. Man 
fesselte ihn, man führte ihn fort. 
An der Hand klebte noch das Blut, das 
vergossen wurde. Im Nebenzimmer lag der 
Verwundete. Die Wunde war tief, fast ge 
fährlich. Man verband sie, bis der Arzt kam. 
Dann rief man den Priester. Er kam und 
gab dem Verwundeten die Sterbesacramente. 
Dies alles war das Werk einiger Augen 
blicke gewesen. Die Leidenschaft hatte ein 
düsteres Werk vollbracht. Man hatte den 
grollenden Tiger gereizt, dass er knirschte, 
dass er schlug. . . . 
Nur einige Worte waren es gewesen, die 
der junge Forsthofer gesagt, aber die Worte 
redeten laut und ernst zum pflichtvergessenen 
Vater vom sterbenden Kind, von der Vater 
pflicht. . 
Und der Grafenjäger grub die tückische 
Waffe in die Brust des Gegners, dass der 
Blutstrahl über die Bank auf den Boden 
quoll. Dabei glühten seine Augen unheimlich 
wie die Hölle, die Hände zitterten vor Kraft 
und Leidenschaft, der Athem stockte. . .. 
Schon hob sich die Hand zum zweiten 
Stoß, man stürzte auf den Jäger los, 
entriss ihm die Waffe. ... 
Man hält ihn, dass er nicht entkomme, 
dann führt man ihn fort. 
Vor seinen Augen trägt man den Ver 
wundeten fort, wie jetzt die Augen noch 
mals das Opfer durchbohren, als ob es 
Dolche wären. . . 
Dann ein grinsendes Lachen. . . . 
Dann ein düsteres Dahinbrüten: 
Steigt wieder das Bild empor, das 
düstere ernste Bild des Kindes: Vater, 
Vater! 
Willenlos sinken die Hände, die Augen 
sind ernst, aber ruhiger. Etwas Schmerz 
volles spricht aus ihnen, wenn es nur die 
Reue wäre? 
Man führt ihn fort. Die hohe stolze 
Gestalt scheint wie geknickt, willenlos geht er. 
Man führt ihn in das Gemeindehaus, 
dort soll er über Nacht bleiben. 
Draußen liegt still die Nacht. Das 
weite Thal lag vor den Augen des Ge 
fangenen da, so geisterhaft, so unheimlich, 
so ernst und alles flüsterte ihm zu: Du 
bist schuldig, du hast Blut vergossen. 
Dann sah er wieder das Bild des 
Kindes, aber so ernst sah es ihn an, Vater, 
Vater. 
Dann schwand es wieder. Ob sein Kind 
schon todt ist? Nein! für ihn kann es nie 
sterben, immer wird es rufen und flüstern: 
Vater, Vater! — 
Mit dem dämmernden Morgen kam ins 
Jägerhaus die Kunde von dem, was ge 
schehen. Paulin sank auf den Stuhl zurück 
wie ohnmächtig. Sollte alles Leid über sie 
kommen? Ihr Mann ein Verbrecher? Brot 
los? Ehrlos? das Kind vaterlos? 
Der Himmel gab ihr die Gnade. Gnade 
bewirkt Gnade. Weil sie gestern dem Lenker 
der Menschen-Geschicke ein ergebenes Herz 
entgegengebracht, gab er ihr heute noch reicher 
seine Gnade. 
Sie stand auf, kniete nieder und betete. 
Es war ein schmerzvolles und doch so 
trostvolles Beten. Und der Himmel sah 
wohlgefällig nieder auf diesen. betenden
	        
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