Volltext: Oberösterreichischer Preßvereins-Kalender auf das Jahr 1902 (1902)

(119') 
Heinrich war nie gekommen, sich nach 
dem Zustand der Kranken zu erkundigen. 
Paulin that es weh, aber sie dachte, Hein 
rich wisse eben, dass ihm die Mutter nicht 
gut gesinnt sei. 
Dafür kam ein anderer jeden zweiten 
Tag, am letzten Tag dreimal sogar, das 
war der Müller Hans. Es zog ihn etwas 
hin zu diesem kranken, sterbenskranken Mütter 
lein, von dem er wusste, wie es ihn so 
gerne als Sohn gesegnet hätte. Er war 
fleißig, einfach, ruhig. Dabei redlich, fromm 
und treu. 
Wie hatte es ihm weh gethan, dass ihn 
Paulin am Kirchtag so spöttisch vor den 
andern abgewiesen. 
Aber er trug es und 
hätte es gerne vergessen 
sogar, wenn sie ihn nur 
einmal freundlich an 
geschaut hätte. 
Eine Stunde vor 
dem Sterben noch war 
er unten gestanden, zu 
fragen, wie es der 
„Mutter" gehe. Man 
ließ ihn nicht hinauf. 
Aber man sagte es der 
Sterbenden, der Hans 
habe gefragt nach ihr. 
Da hatte sie die Hand 
erhoben, als ob sie ihn 
segnen wollte. Und ihr 
Herz segnete ihn auch. 
Traurig war er 
fortgegangen, noch 
immer hatte er gehofft, 
die Sterbende werde 
verlangen, er solle zu 
ihr kommen, doch man sagte nichts zu ihm. 
Und doch hätte sie ihn so gerne noch gesehen. 
Es wollte nicht sein. 
Jetzt lag sie todt da, die eine so gute 
Mutter gewesen. Diese Mutteraugen kann 
niemand mehr öffnen, niemals werden sie 
sich öffnen zum Blick der Mutterliebe. Kalt 
seid ihr, ihr lieben Hände, niemals mehr 
sollt ihr segnen das Kind. Still, todesstill 
bist du, treues Herz, nun hast du ausge 
schlagen und darfst ruhen. Du bist heim 
gegangen in das Land des Friedens zu jenen 
Herzen, die dein Vertrauen und Hoffen, deine 
Kraft gewesen im Leben und im Sterben. 
Schlumm're sanft, gott ergebenes Mutter 
herz! 
III. 
Man legte das gute Mütterlein in den 
Hügel. Paulin weinte, wie ein Kind nur 
weinen konnte. Der Vater blieb stumm und 
verschlossen. Er sprach nicht von Schmerz, 
aber man kannte es, er hatte doch in Cres 
cenz ein Wesen verloren, das ihm wenigstens 
früher viel gewesen. 
Der Hügel steht geschmückt mit den 
letzten Blumen, die ein Spätherbst bieten 
kann. Dann legte der Schnee seine weißen 
Blumen hin und in 
der Kälte des Winters 
und der Menschen 
herzen hütete er warm 
und treu das ge 
brochene Mutterherz. 
Und heute klingt 
wieder die Fiedel zum 
Tanz, als ob Kirchtag 
wär beim Glöcklwirt. 
Und das Haus ist mit 
Blumen geschmückt und 
über der Hausthüre 
steht, von Tannengrün 
umkränzt, der Gruß: 
„Willkommen das 
Brautpaar." 
Die Paare drehen 
sich im Reigen und 
Maienglanz grüßt her 
ein in das Hochzeits 
bild, als ob es auch 
hier Maienmonat sein 
solle in den Herzen. 
Der Heinrich hat die Paulin heimge 
führt ins Häuschen am Waldessaum. Beim 
Schwiegervater war das Festmahl, zu dem 
fast das ganze Dorf und viele aus der Stadt 
gekommen waren. 
War es wohl die Liebe gewesen, die 
Heinrich bewogen. Paulin zum Weib zu 
nehmen? Oder war es etwas anderes, was 
ihm die süßen Worte und freundlichen Ge 
berden eingab, die er Paulin entgegenbrachte? 
Hatte er etwa das klingelnde Geld geheiratet 
oder das Herz seines Weibes? 
Erzherzog %-iavX CDcfteweidj. 
Student am Schottengymnasium in Wien.
	        
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