Volltext: Oberösterreichischer Preßvereins-Kalender auf das Jahr 1902 (1902)

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viel gekommen, was ihr weh that und dabei 
verschwiegen bleiben musste, obwohl es noch 
so weh that. Und das hatte ihr die Sommer 
tage gekürzt und so war es Spätherbst ge 
worden für sie. 
Gottergeben und friedvoll lag sie da, 
als ob sie schon gestorben wäre. Menschen, 
die im Leben ein ruhiges, stilles Gemüth 
besaßen, nehmen dies auch oft mit in die 
Sterbestunde. 
Vor zwei Tagen hatte man den Priester 
gerufen, der der Kranken die Sterbesacra- 
mente spendete. Seitdem lag sie noch fried 
voller da als zuvor. Es schien, ihr Herz 
gienge langsam schlafen. Nur die Augen 
waren wunderbar groß und ernst, aber so 
lieb dabei, ganz ihre Mutterangen, die Cres 
cenz war ja eine gute Mutter. Sie sprach 
wenig, aber was sie sprach, sprach sie so 
feierlich, als ob jedes Wort das Liebes 
Testament eines Mutterherzens wäre. Paulin 
glaubte anfangs nicht, wie schwer krank die 
Mutter sei. Sie eilte immer wieder hinab 
zum Fenster, wenn sie dachte, es käme Hein 
rich. Als sie aber sah, dass es mit Crescenz 
immer schlechter werde, blieb sie oben bei 
ihr. Sie hatte doch ein gutes Herz. Was 
eine gute Mutter in ein Kindesherz gesenkt, 
kann nicht ganz verloren sein. Es wird 
immer wieder Stunden geben, in denen es 
wach wird, wenn nur nicht so schnell der 
kalte Reif die jungen, emporschießenden Keime 
tödten, ein kalter Sturmwind das junge 
Leben einer Gnade, wieder knicken würde! 
Und jetzt lag die Mutter im Sterben. 
Immer wieder ruhte ihr Blick auf dem 
Kinde. Mit großen feierlichen Augen sah sie 
Paulin an. Die Mutter musste noch etwas 
auf dem Herzen haben. 
So war es auch. Die Mutter fasste die 
Hand Paulins und sagte: 
„Mein Kind, schau hinauf zu diesen 
Bildern . . . Herz Jesu, Herz Maria, nimm 
aus mein Kind in deinen Schutz, behüte 
es vor den Gefahren der Welt, dass es 
nicht falle. ... 
Das sagte sie mit vernehmbarer lauter 
Stimme. Sterbende haben oft noch im 
letzten Augenblicke eine wunderbare Kraft. 
Paulin weinte und schluchzte. Sie fühlte die 
erkaltende Hand der Mutter in ihrer Hand 
Sie hörte diese Worte: O wie oft hatte 
die Mutter im Leben ihr Kind den heiligsten 
Herzen geschenkt! Wie oft hatte sie Paulin 
zur Verehrung des göttlichen Herzens auf 
gefordert und die Liebe zur Herz-Jesu-Andacht, 
zur Verehrung der Gottesmutter in das Herz 
des Kindes gesenkt. Das alles wurde jetzt 
wach im Herzen des Mädchens, es dachte, 
wie es einmal doch glücklicher gewesen sei 
als jetzt, da es andere Wege gieng. . . . 
Noch immer schaute Crescenz wie verklärt 
hinauf zu den beiden Bildern, die ihrem 
Bette gegenüber sich befanden. 
„Mutter, geh nicht fort von mir . . . 
Mutter, bleib, bleib. . . .," bat Paulin. 
„Wie's Gottes Wille ist, sein Wille 
geschehe." 
Das Mädchen fühlte ein Frösteln in 
sich, als es hörte: „Wie's Gottes Wille, 
sein Wille geschehe!" 
Nur der versteht den wunderbaren Trost 
dieser Worte, der sie mit aufrichtigem Herzen 
selbst betet. 
Es schien auf einen Augenblick besser zu 
sein, gleich als ob das Wort der Ergebung 
die sinkende Ranke aufrichten möchte am 
Stabe des Glaubens. 
Die Hände aber wurden kälter und 
kälter und der Schweiß lag auf der Stirn 
der Sterbenden. 
„Paulin, Paulin," bat die Kranke. 
„Kind," sagte sie zärtlicher, „liebes Kind, 
eine Bitte habe ich noch an dich, nur eine 
Bitte."
	        
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