Volltext: Oberösterreichischer Preßvereins-Kalender auf das Jahr 1898 (1898)

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gerührt über die Augen, was niemand 
wundert, denn er hat sich schon sechs Halbe 
als Frühschoppen zu Gemüthe geführt. 
„Wissen Sie, was der heutige Tag der 
Welt bietet? Uns und unseren Freunden 
° den berauschenden Becher der Freude, denen 
aber, die unseren freien Geist bis auf das Hemd 
ausziehen wollen, einen zermalmenden Gift 
pokal". Wieder rauscht es und braust es 
unter der Menge, wie in einem Bache, dem 
das Wasser schon zuviel wird. 
„Lassen Sie die Wonnetropfen des herr 
lichen Festes nur tief in ihre Herzen fallen, 
dass sie darin ein Geschlecht heranreifen, das 
auf der kommenden Welt die größte Ver 
wunderung findet"! declamiert der Gemeinde- 
Vorstand weiter, sein Töchterlein aber, die 
blondzöpfige Rost thut einen Seufzer der 
Erleichterung und spricht leise, ganz leise vor 
sich hin: 
„Gott sei Dank, jetzt sind sie heraußen 
die verflixten Sätz', etliche Rächt' hat der 
arme Vater wegen ihrer nicht schlafen können. 
Jetzt geht's wieder leichter". Das gute Kind, 
wie es sich täuschte! Es gieng nämlich gar 
nimmer und das Ende wurde nichts weniger 
als „himmlisch". 
Er nahm einen Anlauf, als gält' es 
einen noch viel höheren Sprung: „Hoch 
verehrte Festgäste! Heben Sie mit mir 
darum die Rechte in die Höhe, hinauf in 
den sternblauen Himmel und rufen Sie 
gefasst — erfasst — verfasst —" 
Was ist das? Die Lippen des Redners 
arbeiten so krampfhaft und es ertönt doch 
kein Laut mehr. Die erhobene Rechte sinkt 
tiefer, immer tiefer und jetzt fährt sie in 
die Rocktaschen, einmal rechts, einmal links. 
Was sie doch nur dort zu suchen hat? 
Der guten Rosi läuft die Farbe ab. 
Heftig zitternd bricht sie durch die Reihe der 
Festjungfrauen nach der Seitengasse durch, 
wo das Haus ihres Vaters steht. Wie gut, 
dass es sich in unmittelbarster Nähe be 
findet. 
Schon ist sie glücklich um die Ecke ge 
bogen, einen Moment noch wendet sie sich 
um, da fühlt sie auf einmal, dass jemand 
an ihren Zöpfen zieht, als wären das zwei 
Glockenstränge unddieser Jemand einMessner. 
Zu Tod erschrocken stößt das Mädchen einen 
Schrei aus, der so schrill über den Markt 
hingellt, dass jeder Festgast die Empfindung 
hat, man zerschneide ihm das Trommelfell 
mit einer Glasscherbe. Im selben Moment 
fällt der überraschten Rosi etwas mit ganz 
eigenthümlichen Geklirr zu Füßen und wie 
sie sich zur Seite neigt, sieht sie ein staubiges 
Zweirad, daneben unsern Hupferl mit zer 
platzten Hosen vor ihr auf den Knien liegen 
und ein so entsetzlich dummes Gesicht 
machen, dass sie trotz des hochklopfenden 
Herzens auflachen muss, hell auflachen. 
Den verwegenen Kerl, der sie so frech 
überfallen, hat aber auch noch ein anderer 
bemerkt, der schon deshalb keinen Spass 
versteht, weil er überhaupt nicht lachen kann, 
und dieser Andere ist Tojan, die silbergraue 
Dogge des Bürgermeisters. Er will gerade 
seine Visite abstatten bei der semmelblonden 
Bella auf dem Marktplatz, da geschieht das 
unerhörte Attentat auf seine Herrin. Mit 
einem wüthenden Gebell springt er auf den 
Missethäter los und gräbt ihm seine messer 
scharfen Zähne in die schlecht bewehrten 
Waden. Da die letzteren so echt waren wie 
Rosi's Zöpfe, so that die Geschichte auch 
ganz satanisch weh und der abgeworfene 
Stahlroßreiter stöhnte in sämmtlichen Vo 
calen der deutschen Sprache. Dem gutherzigen 
Fräulein war nun wieder das Weinen nahe. 
Zudem ließ der eigensinnige Köter trotz aller 
Schmeicheleien und Drohungen seine Beute 
nicht los und der Held uns'rer gewiss recht 
„empfindsamen" Geschichte fand daher folge 
richtig nicht den Muth zum Anfsteh'n. 
Doch dauerte diese qualvolle Lage nicht 
viel länger als eine Minute. Schnell war 
die tragikomische Gruppe von den Festtheil- 
nehmern umrungen, die auf den Wehruf 
des Mädchens hin, als wären ihnen die 
Anarchisten auf dem Halse, von der Tribüne 
auf Marktplatz und Straßen hinabgehastet 
waren. Niemand dachte mehr an das auf 
fällige Verstummen des Bürgermeisters, ein 
lautes Bravo riefen ihm alle zu, als er 
den verbissenen Tojan mit mächtigem Griff 
von seinem wimmernden Feind losriss und 
den anwesenden Arzt bat, den mühselig 
hinkenden Fremden in sein Haus zu führen 
und nach der Wunde zu sehen. Ja, ein 
wahrer Freudentaumel erfasste sie, als er
	        
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