Volltext: Oberösterreichischer Preßvereins-Kalender auf das Jahr 1898 (1898)

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Sinnend hatte der Priester die Worte 
vernommen. Doch andere Gedanken durch 
kreuzten seine Stirne. 
„Wie hieß Friedas Name, bevor Sie sie 
heirateten"? 
„Sollet". 
„Ja, sie ist es. Freund, ihre Gattin ist 
meine Nichte. Seit dem jähen Tode ihrer 
Mütter, meiner Schwester, die bei einer 
Feuersbrunst zugrunde gieng, konnten wir 
trotz aller Suche nach der Tochter diese 
nicht mehr finden. Doch jetzt seien Sie mir 
erst recht willkommen, lieber Vetter, wir 
werden alles gutmachen". — 
Auf Karl hatte die plötzliche Entdeckung 
des Verhältnisses zum Pfarrer einen tiefen 
Eindruck gemacht. Neu begann er zu hoffen. 
Soll wieder alles gut werden? Zum ersten 
male fühlte er den Muth, seiner Gattin eine 
Nachricht zu senden. Der Pfarrer schrieb 
und sandte den Brief nach S. ab. Doch 
einige Tage später kam er zurück, Frieda 
Lehmann war in S. nicht zu finden. Karl 
zagte, doch der Priester tröstete. 
Pfarrer Weber setzte es bei den Aerzten 
durch, dass Karl in ein Zimmer übersetzt 
wurde, das ganz in der Nähe der Pfarrer 
wohnung im ersten Stock war. Er wollte 
den Kranken in seiner Nähe haben, da er sich 
jetzt doppelt verpflichtet fühlte, seine priester- 
liche Sendung an ihm auszuüben. Karl 
hatte ihm ja offen gestanden, dass er seinen 
Glauben verloren und „all' die Geschichten 
von Gott für ein Märchen halte". Er ahnte 
eine harte Arbeit und doch vertraute er aus 
ganzem Herzen auf jene,, Zuflucht derSünder", 
deren Bildnis er unter das Kissen Lehmanns 
gelegt hatte. Als Abschiedsgeschenk der 
Himmelskönigin im Monat Mai erflehte er 
die Bekehrung Karls. 
Das Werk gelang. Was Karl für blindes 
Geschick hielt, das lernte er jetzt als gött 
liche Fügung kennen. Er sah in all' den 
Leiden, die er dulden musste, die Führungen 
jenes guten Gottes, der als Vater die Tage 
und Stunden der Menschen lenkt. Die 
Worte des Priesters waren warm und innig, 
sie sprachen zum Herzen des Sünders. Die 
Gnade kam von oben, und die Maienkönigin 
hatte sie erfleht. Karl weinte, dass er so 
tief gefallen, versprach aber, ein anderer zu 
werden für immer. Er bekannte seine Schuld 
und söhnte sich aus mit seinem Gott. Gerührt 
umarmten sich Priester und Sünder, an 
der Brust Karls hieng die Marienmedaille. 
Am nächsten Morgen, es war am letzten 
Mai, empfieng Lehmann die heilige Com- 
mnnion. 
Im Zimmer Friedas saß neben dem 
Bettchen des kranken Kindes der Pfarrer, 
der der besorgten Mutter in so reicher Weise 
Hilfe geboten. Er erachtete es eben als seine 
schönste Pflicht, Wohlthaten zu spenden und 
Bedrängten ein Helfer zu sein. Und deshalb 
hiengen die Bewohner des Marktes mit kind 
licher Ergebenheit an ihm wie an einem Vater. 
Der Priester hatte Friedas Heim aufgesucht, 
da er auch fernerhin ein Helfer sein wollte 
und aus der oberflächlichen Erzählung schon 
entnommen, dass die Mutter des Trostes 
bedürfe. Und diese versäumte es auch nicht, 
dem Gönner alles zu erzählen, was ihr 
Herz wusste. Sie schilderte das traute Glück 
der ersten Jahre, die sie mit Lehmann einten, 
die allmähliche Veränderung im Wesen ihres 
Gatten, die Verlassenheit und Noth. seit 
jener Stunde, da er verschwunden, und aus 
keinem Worte sprach ein Vorwurf gegen 
ihn, sondern die reinste Liebe: der Priester 
staunte, dass ein Mutterherz soviel, dass 
ein Mutterherz so lieben kann. Er war tief 
ergriffen über das Leid und die Entsagung, 
die bei Frieda eingekehrt, und versprach ihr 
auch fernerhin Hilfe. 
Am nächsten Tag kam er wieder. Sein 
Auge strahlte freudig. 
„Heute komme ich, Ihnen eine Freuden 
nachricht zu bringen". 
Frieda sah verwundert zu ihm auf. 
„Ja, glauben Sie es. Und ich hoffe, es 
wird auch für mich eine fröhliche Botschaft 
sein. Frau Lehmann, wie hießen Sie in ihrem 
ledigen Stand" ? 
„Frieda Doller". 
„Ja, Sie sind es. Ihre Mutter war 
meine Schwester. Nach deren unglücklichem 
Tode wollte ich Sie zu mir nehmen, doch 
nirgends konnte ich Sie ausfindig machen". 
„Ich hatte Aufnahme gefunden im 
Waisenhaus einer nahegelegenen Stadt". 
„Ja, freuen wir uns, doch noch eine 
andere Freudenbotschaft bringe ich ihnen.
	        
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