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Sinnend hatte der Priester die Worte
vernommen. Doch andere Gedanken durch
kreuzten seine Stirne.
„Wie hieß Friedas Name, bevor Sie sie
heirateten"?
„Sollet".
„Ja, sie ist es. Freund, ihre Gattin ist
meine Nichte. Seit dem jähen Tode ihrer
Mütter, meiner Schwester, die bei einer
Feuersbrunst zugrunde gieng, konnten wir
trotz aller Suche nach der Tochter diese
nicht mehr finden. Doch jetzt seien Sie mir
erst recht willkommen, lieber Vetter, wir
werden alles gutmachen". —
Auf Karl hatte die plötzliche Entdeckung
des Verhältnisses zum Pfarrer einen tiefen
Eindruck gemacht. Neu begann er zu hoffen.
Soll wieder alles gut werden? Zum ersten
male fühlte er den Muth, seiner Gattin eine
Nachricht zu senden. Der Pfarrer schrieb
und sandte den Brief nach S. ab. Doch
einige Tage später kam er zurück, Frieda
Lehmann war in S. nicht zu finden. Karl
zagte, doch der Priester tröstete.
Pfarrer Weber setzte es bei den Aerzten
durch, dass Karl in ein Zimmer übersetzt
wurde, das ganz in der Nähe der Pfarrer
wohnung im ersten Stock war. Er wollte
den Kranken in seiner Nähe haben, da er sich
jetzt doppelt verpflichtet fühlte, seine priester-
liche Sendung an ihm auszuüben. Karl
hatte ihm ja offen gestanden, dass er seinen
Glauben verloren und „all' die Geschichten
von Gott für ein Märchen halte". Er ahnte
eine harte Arbeit und doch vertraute er aus
ganzem Herzen auf jene,, Zuflucht derSünder",
deren Bildnis er unter das Kissen Lehmanns
gelegt hatte. Als Abschiedsgeschenk der
Himmelskönigin im Monat Mai erflehte er
die Bekehrung Karls.
Das Werk gelang. Was Karl für blindes
Geschick hielt, das lernte er jetzt als gött
liche Fügung kennen. Er sah in all' den
Leiden, die er dulden musste, die Führungen
jenes guten Gottes, der als Vater die Tage
und Stunden der Menschen lenkt. Die
Worte des Priesters waren warm und innig,
sie sprachen zum Herzen des Sünders. Die
Gnade kam von oben, und die Maienkönigin
hatte sie erfleht. Karl weinte, dass er so
tief gefallen, versprach aber, ein anderer zu
werden für immer. Er bekannte seine Schuld
und söhnte sich aus mit seinem Gott. Gerührt
umarmten sich Priester und Sünder, an
der Brust Karls hieng die Marienmedaille.
Am nächsten Morgen, es war am letzten
Mai, empfieng Lehmann die heilige Com-
mnnion.
Im Zimmer Friedas saß neben dem
Bettchen des kranken Kindes der Pfarrer,
der der besorgten Mutter in so reicher Weise
Hilfe geboten. Er erachtete es eben als seine
schönste Pflicht, Wohlthaten zu spenden und
Bedrängten ein Helfer zu sein. Und deshalb
hiengen die Bewohner des Marktes mit kind
licher Ergebenheit an ihm wie an einem Vater.
Der Priester hatte Friedas Heim aufgesucht,
da er auch fernerhin ein Helfer sein wollte
und aus der oberflächlichen Erzählung schon
entnommen, dass die Mutter des Trostes
bedürfe. Und diese versäumte es auch nicht,
dem Gönner alles zu erzählen, was ihr
Herz wusste. Sie schilderte das traute Glück
der ersten Jahre, die sie mit Lehmann einten,
die allmähliche Veränderung im Wesen ihres
Gatten, die Verlassenheit und Noth. seit
jener Stunde, da er verschwunden, und aus
keinem Worte sprach ein Vorwurf gegen
ihn, sondern die reinste Liebe: der Priester
staunte, dass ein Mutterherz soviel, dass
ein Mutterherz so lieben kann. Er war tief
ergriffen über das Leid und die Entsagung,
die bei Frieda eingekehrt, und versprach ihr
auch fernerhin Hilfe.
Am nächsten Tag kam er wieder. Sein
Auge strahlte freudig.
„Heute komme ich, Ihnen eine Freuden
nachricht zu bringen".
Frieda sah verwundert zu ihm auf.
„Ja, glauben Sie es. Und ich hoffe, es
wird auch für mich eine fröhliche Botschaft
sein. Frau Lehmann, wie hießen Sie in ihrem
ledigen Stand" ?
„Frieda Doller".
„Ja, Sie sind es. Ihre Mutter war
meine Schwester. Nach deren unglücklichem
Tode wollte ich Sie zu mir nehmen, doch
nirgends konnte ich Sie ausfindig machen".
„Ich hatte Aufnahme gefunden im
Waisenhaus einer nahegelegenen Stadt".
„Ja, freuen wir uns, doch noch eine
andere Freudenbotschaft bringe ich ihnen.