Volltext: Oberösterreichischer Preßvereins-Kalender auf das Jahr 1898 (1898)

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Thräne im Auge der Mutter, ein stummer 
Aufblick zum Himmel war die Antwort der 
Einsamen. Sie konnte nichts thun für den 
unglücklichen Gatten als beten und all' ihre 
Gedanken an den Fernen waren ein einziges, 
inniges Gebet. 
Da zog in das stille Heim, zu schön 
wären die Tage wohl gewesen, der dunkle 
Schmerz. Der kleine Karl war schon einige 
Tage lang nicht so munter gewesen wie 
sonst, einige Tage später klagte er über 
Müdigkeit und Kopfschmerzen. Frieda legte 
ihn in das Bettchen und wachte nebenbei 
bei Tag und Nacht. Der Arzt constatierte 
den Kopftyphus. Wie erschrak die Mutter: 
Sollte ihr auch ihr Liebling noch entrissen 
werden. Sie konnte wenig, fast nichts mehr 
arbeiten, immer stand sie neben dem Kinde. 
So gieng es vierzehn Tage dahin. Täglich 
kam der Arzt, fast täglich rief die Apotheke, 
die Ausgaben waren groß, von einer Ein 
nahme war keine Rede mehr. Das Geld, 
das Frieda zusammengespart, schwand hin. 
Frieda musste Geld borgen, nach langen 
Bitten wurde ihr von ihrem Wohnungsgeber 
eine Summe bewilligt, die sie jedoch bereits 
bis zum letzten Mai rückerstatten müsse. Im 
Befinden Karls trat wenig Besserung ein, 
er träumte halblaut und erzählte vom Vater 
und von der Mutter, die Mutter saß nebenan 
und betete und weinte. Endlich trat langsam 
Besserung ein, die Krisis war glücklich über 
standen. Die Tage giengen so langsam vor 
über in ihrem Bangen und Harren und 
doch schwand so schnell die geliehene Summe. 
Die Erholung erforderte das doppelte Maß 
der sonstigen Auslagen, Arzt und Apotheke 
warteten der Begleichung, nur gering war 
der Verdienst der Mutter. Ein neuer Rückfall 
trat ein, dieHoffnung schwand langsam, wieder 
eilte die Krankheit dem Höhepunkt zu. 
Frieda sah wohl mit Besorgnis dem 
letzten Mai entgegen, doch sie zitterte nicht: 
sie betete. Draußen lag der Mai mit seinem 
goldigreinen Frühlingslicht, die Rosen glühten 
im Gartenbeet und die Blüten grüßten vom 
Apfelbaume nieder. Und drinnen im Kämmer 
lein saß die Mutter neben dem Bette des 
Kindes, hielt seine fieberglühende Hand und 
erzählte von der schönen, milden Maien 
königin. Da fragte der Knabe: 
„Mutter, darf ich nicht hingehen zu der 
schönen, guten Frau, von der du erzählt 
hast? Mutter, lass mich gehen. Du und der 
gute Vater kommt auch hin!" 
Frieda legte die Hände vor ihr Antlitz 
und weinte. 
So kam der letzte Mai. Frieda dachte 
wohl, dass sie das ärgste zu befürchten habe, 
doch sie verzagte nicht. Sie hatte sich durch 
eine neuntägige Andacht zur Maienkönigin 
auf den Tag des Schmerzes vorbereitet. Im 
Verhalten des Wohnungsgebers war immer 
mehr eine Wandlung zur Härte eingetreten. 
Oft erkundigte er sich bei Frau Lehmann, 
ob sie wohl ihre Schuld rückzahlen könne, 
mit der stets wiederholten Bemerkung, länger 
könne er seine Milde nicht mehr walten 
lassen, er heische unter jeder Bedingung am 
bestimmten Termin Tilgung der Schuld, 
widrigenfalls er sich zu gerichtlichem Ein 
schreiten veranlasst sehe. Der böse Einfluss 
Klingers war es gewesen, der dem Gefühl 
losen jede Menschlichkeit genommen, der 
selbst aus ihm sprach. 
Und so kam der letzte Mai: Frieda konnte 
das Versprechen der Rückzahlung nicht ein 
lösen, die Fügung hatte es anders gewollt, 
sie war schuldlos. Der Hausbesitzer kam 
wieder, fragte Frieda endgiltig und erklärte 
ihr, dass sie bereits morgen die Wohnung 
zu verlassen habe, während er sich einstweilen 
mit der Pfändung des ärmlichen Besitzes 
an Einrichtung und Kleidung begnügen 
wolle. Da bereits seit zwei Monaten kein 
Zins beglichen und zudem die ausgeliehene 
Summe nicht rückgestattet worden sei, sei 
dies der einzige Weg der Gerechtigkeit. 
Frieda bat und beschwor um des Kindes 
willen, um des Himmels willen, sie warf 
sich vor dem Herzlosen nieder und rang mit 
den Händen — doch vergebens. Was sollte 
sie thun, sie konnte ja doch nicht fort mit 
dem todtkranken Kinde, da flog ein Gedanke 
durch ihren Sinn. Sie dachte des frommen 
Seelsorgers, der so schön von der Barm 
herzigkeit in der Predigt gesprochen, dass es 
nur Worte seines tiefsten Herzens sein konnten- 
Sollte vielleicht er es sein, der ihr Helfer 
und Schützer werden sollte. 
Das Kind schlummerte so süß und selig 
im Bettchen. Frieda fühlte sich von einer
	        
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