Volltext: Oberösterreichischer Preßvereins-Kalender auf das Jahr 1898 (1898)

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Und dennoch war es nicht so sehr Be 
friedigung über den Sieg, den er über Karl 
errungen, was Arthurs Gedanken durchflog, 
sein Herz zitterte. . . 
Zitterte? Ja, er hatte Grund zu zittern, 
wenn Lehmann einmal auf seine Spur 
kommen sollte, doch nein, dieser konnte ja 
gar nichts wissen: Es war, als stiege vor 
Arthurs Seele eine bleiche Schreckgestalt auf, 
die Rache.... 
In jener Nacht, ist nicht heute ein Jahr 
seitdem vorüber, in jener Nacht, da Karl 
geflohen, weil ihm Arthur die dunkle Nachricht 
des Börsenunglückes gesandt, hatte ein un 
treuer Freund, hatte Arthur den Gewinst 
Karls an sich gezogen. — 
Lehmann war das Opfer eines Börsen 
schwindlers geworden. 
HI. 
Eine einsame Mutter. 
Frieda hatte an jenem Samstagabende, 
an dem Karl geflohen, lange auf seine Rückkehr 
aus der Abendgesellschaft gewartet. Sie 
brachte den kleinen Karl zur Ruhe, machte 
nochmals das Kreuzzeichen über der Stirne 
des Lieblings und betete leise neben ihm, 
bis er einschlummerte. Dann wachte sie noch 
eine Stunde, Karl kam nicht, endlich legte 
sie sich selbst zur Ruhe. Sie konnte nicht 
schlafen, ein beängstigendes Gefühl beun 
ruhigte ihr Herz. Wie langsam giengen die 
Stunden vorüber: Endlich war sie ein 
geschlummert. 
Als sie morgens aufwachte, war ihr 
erstes der Gang in das Zimmer des Gatten, 
sie fand niemand. Immer ängstlicher stiegen 
die Gedanken in Friedas Seele ans: Wo 
mochte er wohl sein, hat ihn ein Unglück 
getroffen? Da trat sie auf den Schreibtisch 
Karls zu und fand ein Blatt liegen. Mit 
zitternder Hand ergriff sie es und las: 
„Vergiss deinen Gatten, Frieda, denn 
er war untreu, gedenke nicht mehr deines 
Vaters, Karl, denn auch er hat dich ver 
gessen. Ich habe euch alles verloren, alles! 
Ich muss fliehen, das blinde Schicksal hat 
alles so gewollt. Lebet wohl!" 
Leichenblass stand Frieda da. Das Blatt 
siel aus ihren Händen, sie wusste nicht, war 
es nur ein schrecklicher Traum oder Wirk 
lichkeit. Vor ihrem Blick lag alles ver 
schwommen da, alles drehte sich im Kreise, 
bewusstlos sank sie auf einen Stuhl zurück, 
kalt und starr lag sie da. 
Nach einer Viertelstunde wachte sie wieder 
auf. Das Dienstmädchen war zufällig ein 
getreten, legte seiner Herrin sofort kalte 
Umschläge über, bis langsam das Leben 
wieder in die starren Glieder kam. 
Ja, da lag es noch, das bleiche Blatt, mit 
den schwarzen, grausamen Buchstaben, ja, es 
war bitterharte Wahrheit, kein Traum. Doch 
das Unglück fand seinen Mann. Frieda erhob 
sich, trat an das Bettchen des Kindes und betete: 
„Vater im Himmel, sei von nun an du 
der Schützer dieses Kindes und mein Helfer. 
Himmlische Mutter, verlasse uns du nicht, 
sei du unsere Zuflucht, führe du den Un 
glücklichen wieder zurück zu mir!" 
Dies war wohl der traurigste und be 
trübteste Sonntag im bisherigen Leben Friedas. 
Draußen lag so schön der Maienmorgen, 
dessen weicher Athem bei den Fenstern herein 
quoll und im Heim der Verlassenen war 
der dunkle Schmerz eingezogen mit seinem 
Schattengewande. Vor Friedas Seele standen 
noch die Worte Karls. Was für ein Unglück 
hat ihn getroffen? Er hat verloren? Was 
hat er verloren? Alles. Er ist geflohen? 
O dass ich ihn finden könnte, es wäre ja 
alles wieder gut. Karl, du hast dein Kind 
vergessen, den guten Liebling, der immer 
von dir erzählte? Nein, Karl, du kannst 
ihn nicht vergessen haben, das wäre hart, 
zu hart und du hast ein so gutes Herz 
gehabt. Karl, hast du mich vergessen? 
In Friedas Auge lag eine Thräne. Sie 
dachte ja zurück an die so schönen, seligen 
Stunden, die sie einst genossen, an den 
warmen Sonnenschein, der das Heim durch 
leuchtet und beglückt, in dem zwei glückliche 
Herzen an der Wiege eines Kindes in einer 
Liebe schlugen. Es zogen die Tage an ihrem 
Geist vorüber, da dies schöne Glück zum 
erstenmal gestört worden . . . , bis in wo 
gender Flut der eine entsetzliche Gedanke 
auf ihr Herz einstürmte: 
Karl, du hast deinen Gott verlassen 
und deshalb bist du unglücklich geworden. — 
In rasender Eile hatte sich die Nachricht 
durch die Stadt hin verbreitet, dass Doctor
	        
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