Volltext: Oberösterreichischer Preßvereins-Kalender auf das Jahr 1898 (1898)

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Munde des vermeintlich stummen Knechtes 
vernommen hatte, prallte er fast entsetzt 
einige Schritte vom Lager des Sterbenden 
zurück, das sich dieser nach eigenem Willen 
so ärmlich und erbärmlich eingerichtet hatte. 
Er konnte kein Auge mehr von dem Kranken 
abwenden. Auch der Abt und die übrigen 
Zeugen dieser Umwandlung, die jahrelang 
mit dem Klosterknechte nur in der Zeichens 
spräche der Stummen verkehrt, dadurch die 
größte Uebung in dieser erlangt hatten, 
fühlten sich durch die plötzliche Ueberraschung 
wie gebannt. 
„Hat der Herr sein „Eppheta“, sein 
„Eröffne dich" gesagt, der ja Alles wohl 
gemacht, die Tauben hören und die Stummen 
reden hieß?" ries der Abt erstaunt aus. 
„Ehrwürdiger Vater," antwortete der 
Kranke mit matter werdender Stimme: „ich 
war nie stumm. Wäre ich als armer, stummer 
Bettler draußen in der Welt gestanden, statt 
— den Purpurmantel eines Königs zu tragen 
— o du erbarmender Gott — ich — ich 
wäre nie — nie zum Mörder geworden, wie 
Euch dieser ehrwürdige Herr vor Jahren 
bei Tische erzählt hat, meine Hände wären 
— rein geblieben — vom Blute des — 
heil. Bischofes — Stanislaus von Krakau." 
„Ich habe mich also nicht getäuscht," 
sagte der Gast, sich ehrerbietig vor dem 
Kranken verbeugend; „damals schon erzitterte 
ich bei Eurem Anblicke, vor dem Feuer im 
Auge, vor dem Flammenblicke, ja, ja, Ihr 
seid —" 
„Polens entthronter König, Boles- 
laus II.," siel der Kranke ein, in das Laub 
kissenzurücksinkend, während auf seiner Stirne 
der Todesschweiß sichtbar wurde, den ihm 
der Bruder Siechenmeister mit sanfter Hand 
abtrocknete. Nach einer Weile fuhr der Kranke 
fort: 
„Nach meiner Frevelthat, die Ihr ja 
damals aus dem Munde — eines Augen 
zeugen vernommen — verzeiht sie mir, 
ehrwürdiger Herr — irrte ich — wie der 
Brudermörder Kain herum — ich wollte 
nach Rom — um dort dem heiligen Vater 
auf den Knien — Verzeihung abzuringen 
— auf dem Wege kam ich als armer, müder 
Pilgrim hieher und fand nach einer Sturm 
nacht die Stille und den Frieden des Klosters 
hier. Meine Sünde hat so laut zum Himmel 
geschrien und zur Sühne und Buße auf 
Erden wollte ich zeitlebens — stumm bleiben. 
Habt Dank, ehrwürdiger Vater — für das 
viele Gute, das Ihr an dem armen Kloster- 
knechte geübt und — Ihr, ehrwürdiger 
Priester, erzählt meinen Polen, wie ihr König 
— gestorben ist. Der Herr sei mir armen 
Sünder gnädig — stalo sie, das Bußwerk 
ist — beendet." — Ein Todesseufzer hob 
die Brust des Sterbenden, sein Auge schloss 
sich zum ewigen Schlummer. Ruhe und 
Frieden, wie draußen auf dem See, lagen 
auch über dem Antlitze des Todten, ein 
Strahl der sinkenden Sonne fiel auf die 
abgezehrte Knechts gestalt, ein Strahl, purpurn 
wie der Köuigsmantel, der sie einst umhüllte. 
Von der Klosterkirche tönte das Ave- 
glöcklein in die abendliche Stille der Landschaft 
hinaus und Friede war ihr Geläute. 
Die Leiche wurde an der Kirchenmauer 
von Ossiach begraben und der Abt Teuchos 
ließ im Jahre 1082 den einfachen Denkstein 
setzen, dessen Eingangs dieser Erzählung 
erwähnte Inschrift lautet: „Rex Boleslaus 
Poloniae Occisor Sancti Stanislai, Episcopi 
Cracoviensis. König Boleslaus von Polen, 
Mörder des heiligen Stanislaus, Bischofes 
von Krakau." 
In der Seitenkapelle der einstigen Kloster 
kirche findet sich ein anderes Grabdenkmal 
des Königs. 
Der fremde Priester kehrte in sein Vater 
land zurück und erzählte den Polen, die 
ihren König Boleslaus so schwer sündigen 
gesehen von der Sühne des stummen — 
Büßers von Ossiach.
	        
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