Volltext: Oberösterreichischer Preßvereins-Kalender auf das Jahr 1898 (1898)

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Draußen entschlummerte die Natur, aber 
auch drinnen im Kloster herrschte Grabes 
stille. Es galt ja, die letzten Stunden eines 
Sterbenden nicht zu stören. War es etwa 
der greise Abt, der dem Tode so nahe war? 
Nein, nicht das Oberhaupt der Kloster 
gemeinde von Ossiach war es, sondern ein 
armer, ein unglücklicher, ein stummer Kloster 
knecht, der mit dem Tode rang. Seine Mit 
knechte vermieden es an diesem Abende, mit 
schweren Schritten durch die weiten Hallen 
zu gehen, gar trübselig saßen sie auf den 
Steinbänken, doch nicht zum gewohnten 
fröhlichen Gespräche, sondern nur zu leisen 
Worten des Mitleides und Bedauerns: 
„Schade um den armen Stummen, der 
für uns manchen schweren Griff verrichtete 
und eine harte Arbeit übernahm, wenn wir 
die faulen Knechte des Evangeliums spielten," 
meinte der eine nicht ohne Anzüglichkeit auf 
eigene Schwächen. 
„In Tugend und Sittsamkeit war er 
uns auch weit überlegen," sagte ein Anderer 
und ein Dritter ergänzte: 
„Der Stumme ist aber auch aus einem 
ganz anderen Holze geschnitzt, als wir 
knorrige und rissige Bergmenschen es sind. 
Er hat ein ganz anderes Sinnen und Denken 
als wir. Wäre er nicht stumm, so könnte 
uns der Mitknecht gewiss recht viel von 
fremdem Land und Volk erzählen. Heute 
morgens hat der Bruder Siechenmeister 
gemeint, der kranke Stumme erlebe den 
Abend nicht mehr, gewiss aber nehme ihn 
die heutige Nacht aus unserer Mitte." 
Draußen auf dem blinkenden See, drüben 
an den grünenden Gestaden, droben auf 
dem Gelände gieng die Natur zur Ruh', 
zum Schlummer, um am nächsten Morgen 
wieder zu neuem Leben zu erwachen, drinnen 
im Kloster lag ein lebenssatter und sterbens 
matter Mensch, der das Sonnenlicht des 
nächsten Erdentages nicht mehr schauen sollte. 
So hatten sich die Knechte erzählt, die sich 
jetzt rasch von ihren Sitzen erhoben und 
ehrerbietige Aufstellung nahmen. 
Der würdige Abt gieng ja durch den 
Klostergang. An seiner Seite schritt der 
Priester aus Krakau, mit dem die Brüder 
und der Leser schon Bekanntschaft gemacht. 
Die Angelegenheiten in der Wahl des neuen 
Nachfolgers auf dem durch den Martertod 
des heiligen Stanislaus erledigten Bischof 
sitze hatten den Priester abermals nach Rom 
geführt und auf dem Rückwege hatte er 
wieder Einkehr gehalten im gastlichen Kloster 
Ossiach. Bei Tische hatte der Gast den 
stummen Diener vermisst und als ihm der 
Abt erzählte, dass ein raschverlaufendes 
Zehrfieber den Armen auf das Sterbebett 
geworfen, da ließ es sich der Gast nicht 
nehmen, den Kranken noch einmal zu sehen. 
Die Erinnerung an den Stummen hatte ja 
den Priester auch in seiner fernen Heimat 
nicht verlassen und gerade jetzt konnte er sich 
des Gefühles nicht erwehren, als erhelle der 
Todesengel am Sterbebette mit der Leuchte 
der Wahrheit das Dunkel der Vergangenheit 
des stummen Klosterknechtes von Ossiach. 
Der Bruder Siechenmeister kam dem 
Abte und seinem Begleiter in dem Hallen 
gange entgegen und erzählte diesen, dass der 
Stumme durch seine Zeichensprache ver 
ständlich gemacht habe, er wolle draußen 
unter Gottes freiem Himmel noch einmal 
die scheidende Sonne sehen, den See und 
sein bergumfriedetes Gelände, dann wolle er 
gerne sterben. Dieser letzte Liebesdienst sei 
geschehen und auf des Siechenmeisters Geheiß 
haben die Knechte den Kranken auf seinem 
Lager unter die große Linde am See getragen. 
Der Abt nickte zustimmend und begab sich 
mit seinem Gaste und dem Bruder Siechen 
meister nach der bezeichneten Stelle, von 
der aus sich ein Blick auf das Seethal 
öffnete, über das die ganze stille Schwermuth 
eines Herbstabends ausgegossen war. 
Als der Kranke den Abt herankommen 
sah, erhob er sich unter Beihilfe eines der 
umstehenden Klosterbrüder und griff nach 
dessen Rechte, die er küßte. Dann erhob er 
seinen Blick zum Gaste aus dem fernen 
Polenlande, den er erkannte. Während der 
Kranke seine Rechte auf das Herz legte, 
flammte sein dunkles Auge noch einmal auf 
und eine helle Röthe überzog das im Augen 
blicke vorher noch so todesbleiche Antlitz. 
Sich nach dem fremden Priester hinwendend, 
öffnete der Kranke seinem Mund und sagte klar 
und vernehmlich: „Stalo sie — es ist zu Ende." 
Als der Priester die in seiner polnischen 
Muttersprache begonnenen Worte aus dem
	        
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