Volltext: Oberösterreichischer Preßvereins-Kalender auf das Jahr 1897 (1897)

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Die Müllerin mit ihrem offnen, freundlichen Ge 
sicht, der man an jeder Bewegung die tüchtige Haus 
frau ansieht, begrüßt die Fremden in ihrer ruhigen 
Weise und empfängt den Auftrag, mit ihrem weit- 
berühmten Mokka den Herrschaften aufzuwarten. Hierauf 
muss sich's die gute Sepherl gefallen lassen, dass sie 
von messerscharfen Städterzungen bei lebendigem Leibe 
anatonrisch zerlegt wird. Es muss ihr zum Glücke 
nicht geschadet haben, denn kurze Zeit darauf erscheint 
sie mit dem Kaffeegeschirr, machte ihren artigsten Knix 
und vertheilte mit der größten Unbefangenheit die 
Taffen. „Wirklich ein Bild der Gesundheit!" sagt 
der Künstler zu sich „und 
— der reizendste Studien 
kopf, der mir je unterge 
kommen." Dabei langt er 
in seine Rocktasche, zieht 
ein kleines Skizzenbuch her 
vor und bittet das erglühende 
Dirnlein um die Erlaubnis, 
es „abnehmen" zu dürfen. 
Die wird natürlich ohne 
alle Schwierigkeit ertheilt. 
Das lebhafte Ding kommt 
es nicht leicht an, pfeifen 
gerade sitzen bleiben und das 
unruhige Köpfchen immer 
nach einer Richtung halten 
zu müssen und trotzdem 
findet es die ganze Geschichte 
im hohen Grade ergötzlich, 
denn es ist die feierlichste 
Anerkennung seiner^Schön- 
heit. 
Die Banquiersfrau und 
ihre drei Töchter setzen dem 
Mädchen unterdessen mit 
Fragen zu, die recht un 
verschämt wären, wenn 
man sie an wohlerzogene 
junge Damen richten würde, 
bei den ungebildetenMägden 
aus dem Volke sind sie 
jedoch zweifellos erlaubt. 
Die arme Kleine muss 
Auskunft geben, ob das 
Roth auf ihren Wangen 
nicht am Ende aufgetragen ist, sie hat die Gesellschaft 
davon zu überzeugen, dass ihre schneeweißen Zähnchen 
nicht in einem Atelier entstanden und kann nicht oft 
genug betheuern, dass an ihrem welligen Goldhaar 
auch nicht ein einziges Strähnchen falsch ist. Das 
älteste Fräulein, dem die aufgegangene» Stirnlöckchen 
wie Zwirnsfäden in die Augenbrauen hineinhängen, 
ist am schwersten zu bekehren.' Es fingert fortwährend 
an den Zöpfen herum, die sich schwer um das Hinter 
haupt legen. 
Sepherl hält geduldig Stand, ja immer strahlender 
werden dabei ihre rehbraunen Augen, immer ge 
sprächiger ihre Lippen. Und über diese Frische des Natur 
kindes gerathen zuletzt Alle in das hellste Entzücken. 
Der. Maler hat an seiner Skizze den letzten Strich 
gemacht und legt das Büchlein vor diekleine Eitelkeit hin. 
Die Neltenbachwilönis. 
„Hell aus ist's! Dass so was sein kann!" ruft die 
in grenzenloser Verwunderung aus und stemmt dann 
beide Arme auf den Tisch und legt das Haupt darauf 
und senkt es immer tiefer über das Zeichenblatt, 
damit ihr ja keine Linie entgehe. 
Was nur auf einmal im Auge des Malers auf 
sprüht? Er legt seine Hand ganz leicht auf den Arm 
des Mädchens und gedämpft ist der Ton, indem er 
die Worte spricht: „Die Skizze wird in Oel ausge 
führt und das gibt erst ein Bild, hundertmal schöner 
als dieser schwache Umriss. Das sollten Sie sich an- 
seh'n!" „Da müssen Sie schon den Willen für das Werk 
nehmen," meinte etwas 
schüchtern die Sepherl. 
„Gnädiger Herr wohnen 
gewiss in Wien und ich, ich 
wüsste wirklich nicht, auf 
welche Art ich da hinunter 
käme." 
„Wie tausend andere 
Mädchen vor Ihnen, die 
lange nicht so kluge Augen 
hatten, wie die Ihrigen 
sind," lautete die rasch ge- 
gebeneAntwort. „Versuchen 
Sie nur einmal das Stadt 
leben, ich glaube, es sagt 
Ihnen zu. Solch grobe Ar 
beit wie hier kennt mau 
in der Residenz nicht, dort 
ist der Dienst zehnmal 
leichter und angenehmer. 
Sie werden auch nicht lange 
nach einem Platz zu fragen 
brauchen, nach hübschen 
anstelligen Mädchen greifen 
hundert Hände auf ein 
mal. Hätten Sie keine 
Lust, die Probe darüber zu 
machen? Sie sind ohnehin 
viel zu gut für diesen 
verschlagenen Erdenwinkel. 
Hier schätzt man Ihre 
Eigenschaften viel zu wenig, 
nur in einer Weltstadt 
kommen sie zur vollen 
Geltung." 
Das arglose Kind der Berge lauscht mit ver 
haltenem Athem, es glaubt die Stimme eines Engels 
zu vernehmen, der ihr vom Himmel erzählt. Eitel 
Sonnenschein liegt auf seinem Gesichtchen. 
„Ach ja, das wäre reizend!" flötet nun auch 
der Chorus der Damen darein. „In Wien gibt es 
eine Menge wunderhübscher Posten, wie geschaffen 
für Sie, Posten, auf denen sich schon ein Stück Geld 
verdienen lässt. Wir kennen Frauen genug, die sich 
jetzt mit Brillanten schmücken, ihren Sperrsitz im 
Burgtheater haben und ihre Laufbahn als einfache 
Stubenmädchen begannen Ja ja, man kann in der 
Residenz sein Glück machen, das ist ganz unzweifel 
haft." 
Wie lieb und gnädig doch die Herrschaften mit 
einem gewöhnlichen Dienstboten verkehren, da muss
	        
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