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Alpenreisen.
—siees-
Lrzählung nus dsn Wsrgsn
Johann Weidenholzer.
edes Haus hat
seine Geschichte,
den mannig
fachen Wechsel
von Freud und
Leid in vergan
genen Jahren
und Jahrhun
derten. Davon
hat freilich die
große Welt nichts in ihre Jahrbücher
verzeichnet, der Strom der Zeit hat jede
Erinnerung daran hinweggetragen, gleich
wie rauher Herbstwind die gelbfahlen
Blätter entführt, welche inmitten duftiger Blüten beim
Sang und Klang der Lüftenbewohner einst Wald, Busch
und Baum in grüne Gewänder hüllten, nunmehr aber
Oede und Erinnerung an vorausgegangene Sommer
lust und Sommerpracht zurücklassen. Könnten morsche
Wände reden, so hätten diesen Wechsel von Freud
und Leid die wurmbenagten und von der blaublütigen
Alpenrebe umfangenen Holzbalken der Straßsölde in
der Almau verkündet. Die wundervolle Alpenrebe
(mit den Cleratiden verwandte Atragena alpina) war,
da der Weinstock im rauhen Gebirgsthale nicht recht
fortkommen wollte, von Studentenhand vom Fels
schutt an die Hauswand gepflanzt worden, wo sie
als ehrwürdiges Andenken an längst verklungene schöne
Zeiten noch heute nach mehr als sechzig Jahren sorg
sam gepflegt wird. Die Straßensölde liegt zwanzig
Schritte von der Fahrstraße, auf welcher eben David,
der jugendliche Straßhofer-Sohn, einherschritt. Sein
Auge schien auf die unzähligen blauen Blumenräder
der Alpenrebe an der Hauswand zu spähen, doch
plötzlich hemmte er seine Schritte und erlauschte aus
geöffnetem Fenster:
Der Segen von oben deckt wogende Felder:
Und duftende Fluren und grünende Wälder
Erbieten der Biene gar liebliche Gabe
Und Kleinen und Großen willkommene Labe.
Himbeer und Brombeer und röthliche Beeren,
Die Wälder und Hänge in Fülle bescheeren.
Und labender Trunk aus felsiger Quelle:
Sie stimmen die Herzen stets freudig und helle.
Dazu ein Genüssen ohn' Schuld und Beschwerde
lind fröhliche Lieder am traulichen Herde
Sie ziehen aus Kummer und Elend hienieden
Die Seele empor zu himmlischem Frieden.
I.
Wer war die Lautenschlägerin, unter deren Fingern
die Töne langsam verhallten? Der Jüngling kannte
sie gar wohl, er hatte ja eher nach Eleonorens Bild
innerhalb des Fensters, als nach den blauen Blumen
an der Außenwand geforscht. Und die Sänger waren
fröhliche Studenten, welche in der Vacanz bei
Eleonorens Bruder auf Besuch waren. Das waren
lustige Stunden und Zeiten, worauf man sich schon
ein halbes Jahr freute, wenn die Straßsöldnerin lange
weiße Brotschnitten vor die Tafelrunde legte, der
Vater vom Oberstübchen im rosenbemalten Teller
duftigen Honig brachte, die schnellfüßige Tochter des
Hauses ganze Körbe aromatischer Beeren auf die
Platte setzte und der Student selbst perlenden Felsen-
sprudel von der nahen Quelle holte, da ein anderes
Getränk hier stets unbekannt war. Was Wunder, dass
nach genossener Labe die fröhlichen Herzen in frohen
Liedern Luft bekamen und der junge Straßhofer zum
Fenster gezogen wurde! Wer konnte ihm das wehren?
Hatte er doch als naher Vetter der fröhlichen Base
das Saitenspiel in Salzburg gekauft und daher ein
besonderes Anrecht, ihren Fortschritt im edlen Spiel
zu erforschen. Freilich dünkte es der Mutter manches
mal, es brächten ihm die langen Zöpfe und schwarzen
Augen der achtzehnjährigen Lore mehr Gefallen als
das Saitengeklimper, doch einem so nahen Vetter, da
sie nämlich selbst eine Straßhofer-Tochter und daher
David der Sohn ihres Bruders war, durfte man
schon etwas hingehen lassen, zudem könne sich David
chon manche Ausgabe erlauben, da sich der Wohlstand
in das Gegentheil von früher verkehrt habe.
In der schrecklichen Kriegszeit hatten die Franzosen
alles mitgenommen und es war im Straßhofe viel
da gewesen. Dieser hätte eigentlich Straußhof heißen
sollen. Vor vielen hundert Jahren war der erste Besitzer
auf dem Kreuzzuge mit dem Kaiser und Bischof und
gar vielen anderen hohen Herren im heiligen Lande
gewesen und focht nebst anderen mit einem frechen
Mohren einen gewaltigen Strauß aus, dem er einfach
den Kopf vor die Füße legte, den Straußenflügel
herunternahm, auf seinen eigenen Helm steckte und
zuhause vor die Thüre des neuen Hauses hieng, das
ihm der Salzburger Bisckwf hatte zimmern lassen,
wozu noch hundert Joch Gründe kamen, damit sich
der Mohrenwascher von seiner schweren Arbeit erhole
nnd das nothwendige Lebensbedürfnis habe. Seine
Leibessprossen hatten sich allmälig ein stattliches Haus
gemauert nnd so war der Straßhof der schönste
Besitz weit herum bis hinein in die Franzosenzeit. Da
diese Länderverschlinger alles nahmen und der damalige