Volltext: Oberösterreichischer Preßvereins-Kalender auf das Jahr 1894 (1894)

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vielbesungene Sion, wo Christus der Herr das Abend 
mahl eingesetzt und der hl. Geist die Apostel getröstet 
und erleuchtet hat. Einst war hier der Hanptsitz der 
Franciscaner und thronte hier der Guardian „vom 
Berge Sion." Zwei Jahrhunderte sind es bereits, 
dass die Türken das heil, Sion gewaltsam an sich ge 
rissen haben. Vom Oelberge aus sieht man weiter nur 
eines der fünf offenen Thore, nämlich das Stephansthor. 
Von diesem- weg führt die einzige Straße der innern 
Stadt im Winkel zum hochinteressanten Damasknsthor 
an der Nordseite. Durch 
dieses zogen die Kreuzfahrer 
und leider.auch andere Er 
oberer in die Stadt und 
wenn auch kein solches 
Leben wie am Jaffathore 
an der entgegengesetzten 
Seite hier herrscht, so ist 
es doch stets belebt, denn 
vor demselben halten un 
zählige Lastthiere, die die 
Waren zur Stadt bringen. 
Die Güssen der heil. Stadt 
aber sind eng und düster, 
da die Bogen zwischen den 
fensterlosen Gebäuden kaum 
das Licht hindurchlassen. 
Schwer ist es durch die 
hügeligen Gassen sich zurecht 
zu finden. Doch jeder Pilger 
findet bald das Hauptziel 
seiner Sehnsucht: das heil. 
Grab. Ein kleiner Platz, 
auf welchem schismatische 
Bilderhändler die steifen 
byzantinischen Heiligen 
bilder ausgebreitet haben, 
führt hier zum Doppelpor 
tale der großen Grabeskirche, 
in deren Mitte in einer- 
kleinen Kapelle das hl. Grab 
wohl verwahrt ruht. Sie 
heißt auch die Auferstehungs 
Kapelle und zieren sie 
Bilder des auferstandenen 
Heilandes. Ebenfalls innerhalb der großen Kirche, 
durch 18 Stufen erreichbar, ist der Calvarienberg, 
die Stätte der Kreuzigung. Leider ist diese in den 
Händen der Schismatiker und kann hier kein Priester 
das unblutige Opfer feiern. Doch gehört der Ort, 
wo Christus an's Kreuz genagelt und die schmerzhafte 
Mutter ihren göttlichen Sohn auf dem Schoße hielt, 
den Katholiken oder -Lateinern, wie man sie hier 
nennt. Nicht weit von der Grabeskirche entfernt ist 
das lateinische Patriarchat, mit einem Priesterseminar 
und der neuen Kathedrale des Patriarchen. Außer 
halb der Mauern der Stadt, gegen Süden, Westen 
und Norden aber sind viele Niederlassungen der 
Templer, Protestanten und namentlich der Juden. 
Die Anzahl derselben beläuft sich auf mehr als 
30.000 Personen, während Mohamedaner und 
Schismatiker nur je 7000, die Katholiken 1400 Seelen 
zählen. Stimmt einem anfänglich es wehmüthig und 
peinlich, dass soviele Irr- und Ungläubige in der 
heil. Stadt sich breit machen, so erfüllt es einem doch 
später mit einer gewissen Beruhigung, dass die Katho 
liken nichts verabsäumen, um der Schar der Feinde 
gute Kerntruppen entgegenzustellen. Da sind vor allen 
die Franciscaner, hochverehrt als die Wächter des 
heil. Grabes, das erst von Pius IX. wieder aufgerich 
tete lateinische Patriarchat, unter dem bereits 21 neu 
gegründete Weltpriesterpfarren im heil. Lande stehen, 
die Dominicaner, welche hier besonders die Bibel 
forschung pflegen, die 
Missionspriester aus 
Algier, die an der Stelle 
des Hauses der heil. Anna 
und beim Teiche Bethsaida 
ein schönes Heim gegründet 
haben und den griechisch- 
kath. Clerus erziehen, die 
Hospize der Oesterreicher, 
der Deutschen und der 
Franzosen.Vonden Frauen 
klöstern sind zu nennen: 
Die Nonnen unserer lieben 
Frau von Sion, an der 
via Dolorosa mit einer 
Mädchenschule, die Sanct 
Josefsschwestern im Lud- 
wigsspitale, deutsche Bor- 
romäerinnen, die arabi 
schen Rosenkranzschwestern. 
Auf dem Oelberge aber 
rufen im Pater Noster* 
Kloster die strengen Car- 
melitinnen Tag und Nacht 
die Erbarmungen Gottes 
ans die heil. Stadt herab. 
So hat die heil. Stadt 
für den Katholiken außer 
seinen großartigen Erinner 
ungen recht viel tröstliches. 
Etwa zwei Stunden ent 
fernt und auf ganz guter 
Straße erreichbar, liegen 
die Orte Bethlehem, deren 
Einwohner der Mehrzahl 
Eingang zur Grabrskirche in Jerusalem. 
nach Katholiken sind, dann St. Johann im Gebirge, 
wo Johannes geboren ward. Also auf nach Je 
rusalem, der Stadt der Propheten und 
unseres Heilands! 
Seitdem die Eisenbahn von Jaffa nach Jerusalem 
gebaut ist, erscheint die Fahrt weniger beschwerlich und 
kostspielig und reducieren sich die Hauptkosten und 
Gefahren auf die mehrtägige Seereise. Doch auch 
diese werden verringert, wenn man die Fahrt erst 
nach Ostern, im April, wo die Stürme seltener sind, an 
tritt, und wenn sich mehrere finden, so dass eine Preis 
ermäßigung stattfinden kann. Eine diesbezügliche An 
frage beim österr. Lloyd, dessen Schiffe und Capitäne 
alles Lob verdienen, beantwortete derselbe unterm 
9. Juni 1893 in folgender Weise: 
Die normale Reduetion aus Tour- und Retourkarten beträgt 
bei der I. und II. Classe 20 0 / 0 des Fahrpreises, bei der III. Classe 
findet keine statt. Bei einer Reisegesellschaft von 40 Personen
	        
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