Volltext: Oberösterreichischer Preßvereins-Kalender auf das Jahr 1892 (1892)

Klosterglocken. 
Oberösterreichische Sagen von Ferdinand Zöhrer. 
Die Gründung der 
f er Reisende, welcher heute den Donaustrom 
befährt, gewährt bald unterhalb der oberöster 
reichischen Landeshauptstadt Linz, etwas land 
einwärts vom rechten Ufer, zwei Thürme aus 
dem Waldesdunkel herausragen, die der Stifts 
kirche zu Sanct Florian. Näher dem Ufer 
taucht der massige Stadtthurm von Enns auf. Die 
ganze Gegend ringsum ist ein durch seine Geschichte 
ehrwürdiger, durch seine Legende geheiligter Boden. 
Die Ausgrabungen von Tempel- und Bäderüber 
resten, von Denksteinen und Statuen, von Gefäßen 
und Gerüchen — kostbar und edel — von Waffen 
und Münzen und dergleichen mehr, erzählen uns, dass 
auf den Gefilden der heute träumenden Landstadt 
Enns einst die große, reiche römische Colonia Aurelia 
Lauriacensis gestanden, eine vornehme Welt gelebt 
hat. Das Christenthum fand von hier aus Eingang 
im Lande. Lauriacum hatte zu Römerzeiten seinen 
Märtyrer und dort, wo uns die beiden Thürme grüßen, 
befindet sich das urälteste Heiligthum der Christenheit 
der ganzen jetzigen Monarchie. Doch, lassen wir die 
heilige Sage von seiner Gründung folgen: 
Es war an einem Maimorgen des Jahres 304 
nach Christo. Die Frühlingssonne beleuchtete mit 
mildem Schimmer die Zinnen des römischen Castells 
Lauriacum. Es war der Abglanz römischer Macht 
und Herrlichkeit von damals, mit dem sich die Welten 
eroberer auch in Ufer-Noricum festgesetzt hatten, wie 
die von ihnen unterjochte Donauprovinz genannt wurde. 
Ziemlich nahe dem Castelle erhob sich im einstöckigen 
Bau die Villa des Aquilinus, der zur Zeit unserer 
Legende Präses von Ufer-Noricum war. Von ihr 
aus war der Blick offen auf die weite fruchtbare 
Landschaft mit den Villen der Offfciere und Beamten 
der eivitas (Stadt), mit den Hütten der Veterani, 
jener ausgedienten Krieger, die in den eroberten Pro 
vinzen Ländereien angewiesen erhielten; das scharfe 
Auge konnte über dem grünenden Naturpark auf den 
silbern glänzenden Jster (Donau) nach dem linken 
Ufer schweifen, dessen dunkle Wälder weithin schatteten. 
Das Castell und seine Legionen waren ja der deutschen 
Marcomannen wegen da, jener gefürchteten Feinde, die 
nur der Jster von Rom trennte. Der Präses Aqui- 
linus hatte die ganze Anlage seines Hauses dem Ge 
schmacke seiner Frau überlassen. Diese vornehme Rö 
merin hatte Gemüth, das bewies die Ausstattung der 
Villa. Da war nichts Prunkendes zu finden, alles 
war einfach, ohne der Zierlichkeit und Anmuth zu 
entbehren. 
Durch die grünenden Wiesen mit ihrem Blumen 
teppich zogen sich mit Kies bestreute Wege, mit Hecken 
eingefasst, die munteren Finken und Zeisigen zum 
Verstecke dienten. Wo sich die Wege dem Landhause 
Abtei Kt. Florian. 
näherten, bildeten sie mannigfache Verschlingungen, 
Figuren, Namen, die mit Buchs eingesäumt waren. 
Von diesem der Natur abgewonnenen Vorgarten konnte 
man das Landhaus überblicken. Durch die Vorhalle, 
auf deren Steinpflaster dem Eintretenden das in Mosaik 
eingelegte „Salve“ (Sei willkommen) entgegenleuchtete, 
gelangte man in einen Säulengang, weiter in einen 
Gartenhof. In seiner Mitte stieg ein gekräuselter 
Wasserstrahl empor und fiel in das Jmpluvium zurück, 
ein aus Granit gemeißeltes Bassin, in dem sich muntere 
Fischlein tummelten. Ringsherum blühten Blumen 
des Frühlings in Töpfen, die in Rasenplätze um das 
Bassin eingegraben waren. Es waren keine Rosen 
des Südens, sondern einheimische Kinder Florens, die 
ein norisches Klima nicht so rasch entblätterte. Längs 
der Umfriedungsmauer standen grüne Tannen, durch 
welche die Morgensoune freundlich hereinglänzte. Eine 
Grotte aus Sandstein, von Epheu umrankt und Raum 
für Tisch und Bank bietend, brachte das idyllische 
Gemälde zum Abschlüsse. 
An diesem Morgen saß im Gartenhofe auf der 
Ruhebank in der Grotte eine junge Frau von etwa 
dreißig Jahren, deren edelgeformtes Angesicht den 
Ausdruck inniger Theilnahme trug. Ein lichte Seiden- 
tunica umhüllte den Körper, das schwarze Locken 
haar war rückwärts durch einen silbernen Pfeil in 
einen Knoten gehalten, die Arme waren mit zierlichen 
Spangen golden umringt. Der Leser hat eine vor 
nehme Römerin damaliger Zeit vor sich, Claudia 
Manilia, die Gattin des Präses Aquilinus. Neben 
der jungen Frau saß eine würdige Matrone von 
etwa sechzig Jahren, über deren gramdurchfurchtes 
Antlitz Thränen perlten, die im Lichte der Morgen 
sonne wie Gemmen erglänzten. Die Greisin war 
Valeria, die einzige aber wahre Freundin der Claudia; 
in ihrer schmucklosen schwarzen Gewandung bekundete 
die Matrone, dass sie um einen theueren Verstor 
benen trauerte. Claudia erhob ihr Haupt und ließ 
ihre dunklen Augen eine Weile auf dem Antlitze der 
Freundin ruhen, als achte sie deren Schmerz zu sehr, 
um die Weihe desselben durch ein Gespräch zu stören. 
Doch die Matrone selbst glaubte in Worten Er 
leichterung zu finden und mit einem tiefen Seufzer 
hub sie an: 
„Lasse dir erzählen, theure Claudia, wie das 
Alles gekommen, was heute mein Herz wie mit 
Schwertern durchbohrt. Du weißt ja, dass ich längst 
meinen früheren heidnischen Glauben abgeschworen habe 
und eine eifrige Christin geworden bin. Als der 
Cäsar Diocletian vor kurzem die heftige Christenver 
folgung veranlasste —" 
„Da fand er in meinem verblendeten Gatten 
Aquilinus ein gefügiges Werkzeug, das auch hier in
	        
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