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vermochten, für die ausgestandenen Leiden zu entschä
digen.
Diese Gesinnungsänderung war auch bei den
Bewohnern von Lemont vor sich gegangen. Sie hatten
die Republik bereits satt bekommen, weil diese ihre so
prahlerisch verheißenen Beglückungen nicht gebracht
hatte, sondern eher ihr Gegentheil. Da war es denn
doch unter dein Königthume anders gewesen. Da fass
doch der Kopf eines Schuldlosen fest auf seinen
Schultern, was jetzt nicht der Fall war, wie das
Ströme von Blut und die wandernden Guillotinen
bewiesen. Zuerst durfte und brauchte man nichts zu
glauben, jetzt musste man Gott wieder anerkennen.
Unter dem Königthume hatte man sich doch satt
essen können, das war aber unter der Republik nicht
der Fall, da eine Hungersnoth ausgebrochen, die
zum Theile die Republik verschuldet hatte.
Unter den vielen schönen Sachen, die man dem be
thörten Volke versprochen hatte, war auch die Abschaffung
der Steuern gewesen; aber in ganz Lemont fühlten das
nur der Krämer und die wenigen Handwerker, die
Bauern mussten nach wie vor die Steuern zahlen.
„Wozu," fragten sie unwirsch, „brauchen wir denn dann
eine Republik, wenn Alles beim Alten bleibt, ja noch
schlimmer wird?" — Man hatte wirklich alle Steuern
abgeschafft, die Grundsteuer ausgenommen, nach dem
falschen Grundsätze, dass nur der Boden Wert produ-
ciere, was eine große Missstimmung auf dem Lande
hervorrief. Um die Bedürfnisse des Staates aber dennoch
zu decken, half sich der Convent durch die Confiscation
der Güter des Adels, die er an die Meistbietenden
verkaufte. Das gieng aber für die Bedürfnisse der
Republik viel zu langsam. Es wurde daher der Be
schluss gefasst, unter dem Namen „Assignaten" Staats
papiergeld auszugeben, für welches die confiscierten
Güter im vollen Betrage als Unterpfand dienen sollten.
Der Versuch gelang, so lange man sich in den Schranken
des Bedürfnisses hielt. Als man aber von den Steuern
nur mehr die Grundsteuer behalten, so deckte die Re
gierung alle Staatsausgaben eine Zeitlang mit Assig
naten. Das Uebermaß dieser Ausgabe konnte nicht
lange verborgen bleiben, das Metallgeld begann zu
verschwinden,. das Staatspapiergeld sank im Werte,
während die Preise der Waaren enorm hoch stiegen.
Die Regierung half sich gegen die Steigerung der
Preise einfach mit der Drnckerpresse, so dass die Ge-
sammtsumme der ausgegebenen Assignaten die Höhe
von 40.000 Millionen Livres (== Franken) erreichte. Um
das Unglück noch zu steigern, kam noch dazu eine
Missernte, wodurch eine Hnngersnoth entstand. Da
der Preis des Getreides für Viele nicht mehr zu er
schwingen wa-r, da die Assignaten fast keinen Wert
mehr besaßen, so beschloss der Convent, einen
Maximalpreis für das Getreide festzusetzen. Die Ge
treidebesitzer wollten für dieses wertlose Geld ihre
Waare nicht hergeben, sondern versteckten sie, so dass
die Hungersnoth fortdauerte. Nur durch die Androhung
der Guillotine konnte hie und da Getreide herbeige
schafft werden. Die Noth wurde noch größer, als
die Assignaten noch mehr entwertet wurden, was da
durch geschah, dass sie in Millionen, namentlich in
England gefälscht wurden, was leicht geschehen konnte,
weil sie mit großer Leichtfertigkeit hergestellt worden.
Zuletzt sank der Wert dieses Papiergeldes auf Null
und endigte sein Dasein als Zimmertapete. Viele
Familien wurden durch diesen Staatsbankerott in's
tiefste Elend gestürzt.
All' diese bitteren Früchte hatte man in Lemont
in reichlichem Maße genossen, die erhofften goldenen
Tage waren nicht gekommen und der Traum hatte
bald sein jähes, trauriges Erwachen zur Folge. Man
hatte nun wenig Zeit mehr von den „Menschenrechten"
und dergleichen viel zu reden, sondern zu trachten sich vor
dem Erhungern zu schützen. Und die Kirche, das jetzige
Körnerhaus, .wurde wenig für das Einlagern des Ge
treides in Anspruch genommen, da Manche kaum zu
Hause ein bischen Korn für das tägliche Brod hatten.
Das gab natürlich Stoff genug zum Nachdenken. —
Wie L'Agneau seine weite beschwerlicheReise zu Fuß
zurücklegte und zu seiner Freude sah, dass den Leuten
wiederum ihr Christenthum im Herzen lebendig gewor
den, da freute er sich über diese Wahrnehmung so sehr,
wie über seine Freilassung, weil er im Innersten die
stille Hoffnung nährte, es werde in seiner Gemeinde
ebenso aussehen. Was seine Hoffmmg aber nicht recht
wachsen liess, das war die Erinnerung an den Maire
und dessen Hass gegen ihn. Würde dieser nicht Alles
aufbieten, die anderen Dorfbewohner in ihrem Un
christenthum zu erhalten und zu bestärken? Würde
die Rückkehr nach Lemont dann eine erfreuliche sein?
Was wäre das für ein Empfang, was für ein Wieder
sehen? Doch L'Agneau hoffte. Und er hatte recht.
Auch die Bäume des Maire waren nicht in den
Himmel gewachsen. Er war von einer argen Krank
heit, vom Nervenffeber, ergriffen worden. Als das
Weib seines Bruders das sah, ergriff es die Flucht,
um nur ja das eigene Leben in Sicherheit zu bringen.
Der alte Soulier war sein treuester Wärter, der sich
seiner liebevoll annahm. Durch diesen erfuhr sein Weib,
das sich in einem Nachbarorte bei ihren Verwandten
aufhielt, von seiner Krankheit und sogleich eilte sie an
das Krankenbett ihres Gatten, um ihn zu pflegen, —
selbst da ihr eigenes Leben dadurch in Gefahr kam.
Sobald der Kranke nur einigermäßen zu sich kam und
diese grossmüthige Liebe sah, dankte er seiner Gattin
für ihre Treue und Anhänglichkeit und bat sie um
Verzeihung für alles Ueble, das er ihr in so reichem
Maße zugefügt habe, sie inöge ihm verzeihen und
diese traurige Zeit vergessen. — Seine Gattin hatte
ihm ihr Verzeihen schon durch die That, durch ihre
Pflege bewiesen; sie war eben in diesen trüben Tagen
eine Christin geblieben. Und dem alten Soulier dankte
der Maire auch, dass er f® hochherzig ihm gegenüber
gehandelt und Böses mit Gutem v«g«lten habe. Rur
einen Wunsch habe « >«ch, er sau Leben so
lange erhielte, bis er de« Pflirrherm all' das Leid
abgebeten, das er in sein«« nafje und in seiner Ver
blendung ihm zugefügt. Auch der Wunsch Souliers
war es. seinen Pfarrer noch einmal zu sehen. Für
sich wies er jeden Dank zurück. „Wisst Ihr," sprach
er scherzhaft, „ich habe mich jetzt nur dankbar gezeigt,
dass Ihr mir meinen alten Kopf noch gelassen, als