Volltext: Der Krieg und die Sozialdemokratie [25]

Staunen, daß so viel Tiefe, so viel Zartheit und so viel Gewaltig¬ 
keit in einem — Sozialdemokraten stecken könne. 
Ludwig Franks Platz im Reichstag war in der Sitzung vom 
2. Dezember mit einem großen Lorbeerkranz geschmückt. Nicht 
weit davon befindet sich der Sitz des Abgeordneten Liebknecht. 
Als es nach der dritten Lesung des Gesetzes über fünf Milliarden 
weiterer Kriegskredite zur Abstimmung kam, da fuhr wieder der 
ganze Reichstag auf wie ein Mann. Nur der Sitz des Ab¬ 
geordneten Liebknecht gab — weit hinter der Front — seinen 
Mann nicht frei. And durch ganz Deutschland ging ein un¬ 
williges Befremden und ein leises Entsetzen über die närrische 
Verwegenheit einer so befangenen Seele. 
Vom Grab in Baccarat bis zu diesem im entscheidenden 
Augenblick nicht leer gewordenen Platz im Reichstag baut sich 
eine gewaltige Brücke mit immer schmäler werdenden Pfeilern. 
Aus Quadern gefügt ziehen sich die Pfeiler auf neun Zehntel 
des Brückenverlaufs dahin bis gegen ihr Ende, wo nur noch ge¬ 
brechliche, aber umfangreiche Gerüste das Ganze zu halten ver¬ 
suchen. Die Quadern am Frankschen Brückenkopf sind die klaren, 
ungekünstelten, dem starken Volksbewußtsein und dem gesunden 
Menschenverstand entsprungenen Empfindungen der übergroßen 
Mehrzahl aller Sozialdemokraten Deutschlands; die gebrechlichen 
Gerüste auf der anderen Seite aber bestehen aus gedanklichen 
Konstruktionen, in denen eine sehr kleine Anzahl Mitglieder der 
größten Partei Deutschlands hängen geblieben sind wie Soldaten 
in einem selbsterrichteten Stacheldrahtverhau. Ein solches Schick¬ 
sal ist tragisch. Darum wollen wir den Einzelnen, der ihm ver¬ 
fallen ist, nicht schmähen. Es liegt viel Gewissensnot im Wider¬ 
stand solcher weniger, wenn andererseits wohl auch viel von der 
Eitelkeit derer, die in ihrem Leben keine größere Schande kennen, 
als einmal nicht recht behalten zu haben. Anspruch auf solche 
Schonung hat der frühere Abgeordnete von Metz dagegen nicht. 
Wenn einige wenige Parteiblätter als mildernd für ihn anführen, 
daß er nicht als Soldat in der Front, sondern nur als Übersetzer 
in der französischen Armee tätig ist, so fällt hiermit meines Er¬ 
achtens gerade der letzte Rest, der diesen Menschen noch hätte 
sympathisch erscheinen lassen, weg. Empfand er sich von jeher 
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