adern des neuen Volksorganismus aber wird der Sozialismus
sein, den in seinen Anfängen ein deutsches Gewerkschaftsblatt mit
Recht jetzt schon in einer Reihe von staatlichen Maßnahmen
während des Krieges erblickt. And ebenso hat aus der Gegen¬
seite Johannes Müller, einer der stärksten Erschütterer des alten
Intellektualismus, recht, wenn er den Sozialismus als Sehnsucht
der angeblich Vaterlandslosen nach Vaterland und nach einer
größeren Menschheit definiert. Die Methoden zur Erreichung
dieses Zieles werden sich immer ändern. Die deutsche Sozial¬
demokratie ist nur eines der bewußten Organe, welches die aus
der Entwicklung des Kapitalismus sich herausbildenden Zustände
mit fester Land formt. Aber schon dieser Krieg hat gezeigt, wie
sehr es auch mit dem Dogma hapert, daß die Befreiung der
Arbeiterklasse nur das Werk der Arbeiterklasse selbst sein könne.
Das sind theoretische Verstiegenheiten aus der Zeit der Ohnmacht
der Arbeiterklasse und eine Art von ideologischem Ausgleich. Mit
dem wachsenden Einfluß der Arbeiterpartei wird alles Kokettieren
mit der Revolution aufhören, und während im brausenden Leben
sich Neues formt, werden es derjenigen immer weniger werden,
die nebendraus auf einsamen Löhen die zerfallenden Tempel eines
Dogmas hüten, das wie alle Dogmen seine Kraft, seine Be¬
deutung, aber auch seine Zeit hatte.
Eine andere Gefahr eines deutschen Sieges wird der sicherlich
nicht ausbleibende Versuch konfessioneller Mächte sein, das tiefer
aufatmende Leben des neuen Geistes in starke, alte Fesseln zu
schlagen. An deutlichen Anzeichen dazu fehlt es schon jetzt nicht.
Der bürgerliche Liberalismus ist aber nicht mehr stark genug, um
eine solche Flutwelle abzuhalten. Es ist mehr als wahrscheinlich,
daß die Lunderttausende sozialdemokratischer Arbeiter durch die
monatelange vertraute Nachbarschaft mit dem Tod Erlebnisse
innerer religiöser Art gehabt haben, die ihnen noch erstaunlicher
waren als das Erwachen ihrer Vaterlandsliebe. Denn alles
Lebendigwerden hängt mit irgendeinem Sterben zusammen. Auf
der anderen Seite bewahrt sie ihr kritischer Verstand vor dem
Versinken in alte Glaubensformeln. So wird die deutsche Sozial¬
demokratie, ohne daß sie mit ihren programmatischen Grundsätzen
zu brechen braucht, es in zahllosen ihrer Mitglieder erleben, daß
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