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allen Willen, ohne alles Bewußtsein. Dieselben Bewegungen,
die für bewußte Willensacte gelten sollen, macht eine Maschine,
ein Automat, ein Nachtwandler, der nicht weiß, was er thut.
Man sagt: der Körper wird vom Geiste beherrscht, er leidet unter
den Mängeln des Geistes. Aber das Gegentheil ist ebenso richtig:
der Geist wird vom Körper beherrscht, das Denken erlahmt unter
körperlichen Affectionen, es wird bewußtlos gemacht im Schlaf u. s. f.
Eine Behauptung ist so richtig als die andere, d. h. beide sind falsch *).
3. Die vermeintliche Unabhängigkeit des Willens von
der Erkenntniß. Descartes.
Der Wille sei unabhängig von der Erkenntniß. Auf diesem
Satze beruhte Descartes' Theorie von der menschlichen Willens
freiheit und vom Irrthum. Während die menschliche Erkenntniß
beschränkt sei, soll der Wille unbeschränkt sein als das einzige wahr
haft unendliche Vermögen des menschlichen Geistes; daher sei der
Wille frei, das völlig ungebundene Vermögen zu bejahen und zu
verneinen. Er reiche weiter als die Einsicht; daher könne er auch
bejahen oder verneinen, was nicht wahrhaft erkannt sei: hieraus
erkläre sich die Möglichkeit des Irrthums. Er könne aber auch
weder bejahen noch verneinen, was nicht wahrhaft erkannt sei,
d. h. er könne das Urtheil (Bejahung oder Verneinung) zurückhalten:
er habe es daher in seiner Gewalt, nicht zu irren. Wäre der Wille
abhängig von den Vorstellungen, so würde er durch dieselben deter-
minirt, so könnte er durch verschiedene Vorstellungen gleich stark
determinirt werden, also in einen Zustand der Indifferenz gerathen,
wo alles Wollen und Handeln nothwendig aufhören würde, wie
') Eft. III. Prop. II. Sehol.