Volltext: Descartes' Schule [1. Band. Zweiter Theil, zweite völlig umgearbeitete Auflage] (1,2,2 / 1865)

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das Universum erkannt wird. Wenn wir sogleich den Sinn und 
Inhalt eines Buches durchdringen, so brauchen wir es nicht müh 
selig, Satz für Satz, zu lesen; wenn wir auf der Stelle lesen 
können, so brauchen wir nicht erst zu buchstabiren. Aber es 
geht dem Geist mit der Welt, wie dem Kind mit dem Buche: 
erst muß es buchstabiren, so lernt es lesen; dann versteht es den 
Satz, den Sinn und Zusammenhang der Sätze, zuletzt den Sinn 
des ganzen Buchs. Die Welt ist das Buch, welches der mensch 
liche Geist liest: die einzelnen Dinge sind gleich den Buchstaben, 
der Zusammenhang der Dinge ist gleich den Sätzen, die Substanz 
oder Gott ist gleich dem Sinn des ganzen Buches. Die Imagi 
nation buchstabirt, der Jntellect liest, die intuitive Einsicht be 
greift wie in einer unmittelbaren Anschauung das Ganze. 
In der verworrenen Gemüthsverfassung beziehen wir Alles 
auf uns, daher erscheinen uns die Dinge gebrochen und unklar; 
in der klaren und intellectuellen Gemüthverfassung beziehen wir 
Alles auf Gott, darum erscheinen wir uns selbst als vergängliche 
Wesen in dem Zusammenhange des Ganzen und befriedigen uns 
in der Betrachtung der ewigen Nothwendigkeit. „Im Grenzen 
losen sich zu finden," sagt Göthe im Einklänge mit Spinoza, 
„wird gern der Einzelne verschwinden, da löst sich aller Ueber- 
druß; statt heißem Wünschen, wildem Wollen, statt läst'gem 
Fordern, strengem Sollen, sich aufzugeben ist Genuß." 
Hier gewinnen wir die Aussicht auf die Sittenlehre. Sitt 
liche Vollkommenheit ist nur möglich, wenn wir unsere Begierden 
und Leidenschaften beherrschen können. Sie können nur beherrscht 
werden durch eine Macht, die größer ist als sie. Diese größere 
Macht ist bei den thätigen Affecten. Unsere einzige wahrhafte 
Thätigkeit ist die denkende, die Erkenntniß der Dinge, die adä 
quate Erkenntniß. Jetzt wissen wir, daß der menschliche Geist
	        
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