409
*) Vgl. Eth. IV. Prop. XXXVII. Schol. II.
oder überhaupt entschiedenes Recht gab. Erst im Staate wird
das Recht, indem es als Gesetz gilt, eine wirkliche und entschei
dende Macht. Was mit diesem Recht übereinstimmt, ist im Sinne
des Staates gerecht, und ungerecht Alles, das ihm widerstreitet.
Jede Handlung, welche die Gerechtigkeit befördert, ist ein Ver
dienst; jede, die sie verletzt, ist ein Verbrechen. Daraus erklärt
sich der wahre Werth dieser geläufigen Worte: sie bezeichnen weder
natürliche noch sittliche, sondern conventionelle, nicht aus dem
Wesen des Menschen, sondern aus äußerer Uebereinkunst ge
schöpfte Begriffe (notioucs extrinsecae), die beweglicher Art
sind nach dem Interesse der Gesellschaft. Dieses Interesse ist
kein moralischer Weltzweck, sondern das Gemeinwohl und die
nützliche Lebenspraxis *).
5. Die Staatsgewalten.
Aus dem Begriffe des Staates ergeben sich seine Functionen:
er ist die naturrechtliche Gesellschaft, also sind seine Functionen
die Ausübungen des Naturrechts, und was früher im Status na-
turalis das Individuum aus eigener Machtvollkommenheit und
zum eigenen Besten gethan hatte, das vollzieht jetzt im Status civi
lis die Gesellschaft im Namen und Interesse Aller. Wenn früher
das Individuum seinen Vortheil gut und seinen Schaden böse ge
nannt hatte, so wird jetzt der Staat entscheiden, was Allen gut
und böse ist, d. h. er wird die Gesetze geben und interpretiren.
Hatte vorher der Einzelne kraft seines Naturrechts jede Verletzung
gerächt, so wird jetzt der Staat dieses Recht übernehmen und die
Gesetzesverletzungen rächen, d. h. er wird richten und strafen.