Volltext: Descartes' Schule [1. Band. Zweiter Theil, zweite völlig umgearbeitete Auflage] (1,2,2 / 1865)

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Die gesetzmäßige Verbindung der Menschen im Großen nen 
nen wir Gesellschaft oder Staat. Es giebt keine andere gesetz 
mäßige Verbindung als den Causalnexus. Die Erkenntniß der 
wirkenden Ursachen, aus denen das Staatsleben folgt oder durch 
welche die öffentliche Gemeinschaft der Menschen erzeugt und zu 
sammengehalten wird, nennen wir Staatslehre oder Politik. Da 
mit ist der Gesichtspunkt festgestellt, unter dem Spinoza die Auf 
gabe der Politik als einer Wissenschaft begreift. Es ist genau der 
selbe Gesichtspunkt, unter dem er vorher die Aufgabe der Sittcn- 
lehre als einer Wissenschaft begriffen hat: nämlich die volle Ein 
sicht in die menschliche Natur, insbesondere in ihre Begierden 
und Leidenschaften, denn diese sind die Vermögen oder Mächte 
der menschlichen Natur und darum der Ausdruck ihres Wesens. 
Ohne Kenntniß des wirklichen Menschen ist eine wahre Po 
litik ebenso unmöglich als eine wahre Sittenlehre. Diese will 
zeigen, welches die richtige Lebensverfassung ist; jene will die rich 
tige Staatsverfassung darthun. Wenn man aber nicht weiß, unter 
welchen nothwendigen Bedingungen die menschliche Natur lebt und 
handelt: wie will man die richtigen Formen des Menschenlebens 
erkennen? Die Ethik kommt in die Gefahr, satyrisch zu werden; 
die Politik kommt in die Gefahr, utopistisch zu werden; auf 
diesem Wege werden beide gleich unfruchtbar und gleich untauglich. 
Das ist der Vorwurf, den Spinoza der bisherigen Sittenlehre 
entgegenhält, und den von jeher die Staatsmänner den Philoso 
phen gemacht haben, die Politiker sein wollten, daß ihre Entwürfe 
unpraktisch seien und vollkommen unfähig, auf die wirklichen, in 
der Menschenwelt gegebenen Verhältnisse angewendet zu werden. 
Sie kennen die Menschen nicht, die sie regieren wollen. Sie kennen 
die Menschen nicht, weil sie dieBegierden und Leidenschaftender 
selben nicht kennen oder nicht im Stande sind richtig zu würdigen. 
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