Volltext: Descartes' Schule [1. Band. Zweiter Theil, zweite völlig umgearbeitete Auflage] (1,2,2 / 1865)

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4. Das menschliche Streben. Der Wille. 
Was von allen Dingen gilt, gilt auch von der menschlichen 
Natur. Also muß auch das Vermögen (oder Wesen) der mensch 
lichen Natur begriffen werden als Streben nach Selbsterhaltung. 
Dieses Streben der menschlichen Natur sowohl in Rücksicht ihres 
denkenden als ihres körperlichen Daseins nennt Spinoza „appeti- 
tus“. Was die menschliche Natur erstrebt, dessen ist sich der 
menschliche Geist bewußt. Das bewußte Streben nennt Spinoza 
„Wille oder Begierde (voluntäs, cupiditas)“. Was wir 
wollen oder begehren, ist demnach nichts Anderes als die Erhal 
tung und Realität unseres Daseins. Was dieses Streben beför 
dert, nennen wir gut, das Gegentheil böse. Also sind die Vor 
stellungen des Guten und Bösen bedingt durch die Begierde, nicht 
umgekehrt. Wir begehren die Dinge nicht, weil sie gut sind; sondern 
wir nennen sie gut, weil wir sie begehren. „Begierde ist Streben mit 
dem Bewußtsein desselben. Daraus erhellt, daß wir nichts suchen, 
wollen, erstreben oder wünschen, weit wir es für gut halten, sondern 
im Gegentheil, daß wir cs deßhalb für gut halten, weil wir es suchen, 
wollen, erstreben, wünschen *)." Der Habsüchtige hält einen Haufen 
Geld für das Beste, der Ehrgeizige begehrt nichts so sehr als den 
Ruhm, dem Neidischen ist nichts angenehmer als fremdes Unglück **). 
Das Vermögen eines Dinges ist gleich seinem Wesen. Also ist 
das Wesen der menschlichen Natur gleich jenem Streben, und 
das Wesen des menschlichen Geistes gleich jenem bewußten Stre 
ben d. h. dem Willen oder der Begierde zur Selbsterhaltung. Da 
*) Etli, III. Prop. IX. Dem. Scliol. pg. 140. 41. Appe- 
titus — ipsa hominis essentia. Cupiditas est appetitus cum ejus- 
dem consoientia. 
**) Ebendaselbst. Prop. XXXIX. Schol. 
Fischer, Geschichte der Philosophie. 1,2. - 2. Ausl. 
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