Volltext: Descartes' Schule [1. Band. Zweiter Theil, zweite völlig umgearbeitete Auflage] (1,2,2 / 1865)

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nisicirt. Er hatte sich von den Begierden und Leidenschaften 
ganz befreit, weil er sie ganz durchschaut hatte. So war er sei 
ner selbst vollkommen mächtig, in seiner Geistesklarheit stets un 
getrübt, von keinem Affect überwältigt, nie ausgelassen weder 
in der Freude noch im Schmerz. Er war, wie die Erkenntniß 
selbst, ernst. 
Es giebt eine Tiefe der Einsicht, mit der sich die Lebenslust 
nicht mehr verträgt, weil der fröhliche Schein der Dinge diese 
Einsicht nicht mehr blenden kann. „Nur der Irrthum ist das 
Leben." Tiefe und ächte Menschenkenner, zu deren sehr geringer 
Zahl Spinoza gehört — ich meine solche, die der menschlichen 
Natur auf den Grund sehen — nehmen leicht einen sch wer- 
müthigen Zug, der nicht trauriger oder finsterer Art ist, denn 
diese Gemüther sind zu klar, um trüb zu werden, aber sie kön 
nen nicht anders als die gewöhnliche Welt- und Lebenslust tief 
unter sich sehen als ein fremdes und verworrenes Treiben. Da 
her die unwiderstehliche Neigung zur Einsamkeit, die sich unwill 
kürlich mit dieser Gemüthsart verbindet und einen ihrer Grund 
züge ausmacht. 
Wer die menschliche Natur in Wahrheit durchschaut, der 
wird sie in ihren einfachsten und schlichtesten Formen am liebsten 
ertragen, ihren Irrthümern und Blendungen nicht zürnen, und 
nur in einem Fall wird es ihm schwer sein, sie nicht rücksichtslos 
zu verwerfen: wenn sie absichtlich täuschen will, wenn sie, in 
nerlich hohl, einen falschen Schein annimmt, wenn sie aufhört 
wahr zu sein und heuchelt, als ob der Menschenkenner sie nicht 
durchblickte. Jede Art der Heuchelei, die so weit reicht und so 
viele Formen annimmt als die Sucht zu täuschen, ist dem Men 
schenkenner gegenüber geradezu unverschämt. Und gegen diese 
Unverschämtheit der Lüge ist Spinoza stets unerbittlich gewesen.
	        
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