Volltext: Descartes' Schule [1. Band. Zweiter Theil, zweite völlig umgearbeitete Auflage] (1,2,2 / 1865)

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ster erschafft, so haben diese denkenden Naturen keinen anderen Zweck 
als die Betrachtung der Werke Gottes d. t. die Betrachtung Got 
tes selbst. Denn wir können Gottes Werke nicht anschauen, ohne 
darin zugleich ihn selbst anzuschauen. Wir sind in dieser Anschau 
ung gleichsam Spiegel Gottes. Aehnlich nimmt ein deutscher 
Dichter den Zweck der Geisterwelt: „freundlos war der große Wel 
tenmeister, fühlte Mangel, darum schuf er Geister, sel'ge Spiegel 
seiner Seligkeit." 
Ist der alleinige Zweck der Schöpfung Gott selbst, so ist er 
das alleinige Object unserer Erkenntniß und das alleinige Ziel 
unseres Wollens; so ist die Betrachtung und Liebe Gottes das 
nothwendige und einzige Motiv unseres Denkens und Wollens, 
also unseres gesummten geistigen Daseins. „Wenn wir nicht Gott 
sähen," sagt Malebranche, „so würden wir nichts sehen. Wenn 
wir nicht Gott liebten, so würden wir nichts lieben." Unser Wille 
ist Streben zu Gott d. i. Liebe zu ihm. Ohne diese Liebe können 
wir nichts weder lieben noch wollen. Was wir auch begehren, 
begehren wir vermöge dieser uns eingebornen nothwendigen Liebe 
zu Gott; was wir auch sehen, sehen wir nur vermöge der natür 
lichen Erkenntniß Gottes. Ohne Gott ist- unser Dasein vollkom 
men todt und unwirksam, unser Denken ohne Licht, unser Wollen 
ohne Motiv: ohne Gott giebt es in uns weder Denken noch 
Wollen. Also gilt im Geiste dieser Philosophie die Gleichung: 
denken = Gott erkennen; wollen = Gott lieben. 
Hierbei aber entsteht eine scheinbare Antinomie zwischen Phi 
losophie und Erfahrung. Die Philosophie erklärt: wir können 
nichts lieben außer Gott; er ist das höchste und allgemeinste Gut, 
das nothwendige und unwandelbare Ziel unserer Willensrichtung. 
Die Erfahrung zeigt, daß wir so viele einzelne, vergängliche Gü 
ter begehren, daß die Dinge der Welt die Objecte unseres Willens
	        
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