Volltext: Meine Kriegserinnerungen

Die Berufung nach dem Osten 
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General v. Moltke schrieb: 
„Sie werden vor eine neue schwere Aufgabe gestellt, vielleicht noch schwerer 
als die Erstürmung Lüttichs Ich weiß keinen anderen Mann, zu dem 
ich so unbedingtes Vertrauen hätte als wie zu Ihnen. Vielleicht retten Sie 
im Osten noch die Lage. Seien Sie mir nicht böse, daß ich Sie von einem 
Posten abberufe, auf dem Sie vielleicht dicht vor einer entscheidenden Aktion 
stehen, die, so Gott will, durchschlagend sein wird. Sie müssen auch dies 
Opfer dem Vaterlande bringen. Auch der Kaiser sieht mit Vertrauen auf Sie. 
Sie können natürlich nicht für das verantwortlich gemacht werden, was ge 
schehen ist, aber Sie können mit Ihrer Energie noch das Schlimmste abwenden. 
Folgen Sie also dem neuen Ruf, der der ehrenvollste für Sie ist, der einem 
Soldaten werden kann. Sie werden das in Sie gesetzte Vertrauen nicht zu 
schanden machen." 
Ich erfuhr noch, General v. Hindenburg solle Oberbefehlshaber werden, 
man wisse jedoch nicht, ob der General zu finden sei und annehmest werde. 
Ich war stolz auf meine Aufgabe und gehoben von dem Gedanken, dem 
Kaiser, der Armee und dem Vaterlands in schwerster Lage an entscheidender 
Stelle zu dienen. Vaterlandsliebe und Königstreue sowie die klare Er 
kenntnis, daß jeder einzelne der Pflicht für Familie und Staat zu leben hat, 
waren das Erbteil, das ich aus meinem Elternhause in das Leben nahm. 
Meine Eltern waren nicht begütert, irdischen Lohn brachte ihre treue Arbeit 
nicht. Wir lebten sehr sparsam und einfach ein harmonisches und glückliches 
Familienleben. Mein Vater sowohl wie meine Mutter gingen ganz in der 
Fürsorge für uns sechs Geschwister auf. Den Eltern sei Dank hierfür vor 
aller Welt. 
Als junger Offizier mußte ich mich redlich durchs Leben schlagen. Meine 
Lebensfreudigkeit litt nicht darunter. Ich saß viel in meiner bescheidenen 
Leutnantswohnung in Wesel, Wilhelmshaven und Kiel und las Geschichte und 
Kriegsgeschichte sowie geographische Schriften. Was ich als Kind in mich 
aufgenommen hatte, erweiterte sich. Ich wurde stolz auf mein Vaterland 
und seine bedeutenden Männer. Glühend verehrte ich Bismarcks gewaltige 
und leidenschaftliche Größe. Das Wirken unseres Herrscherhauses für 
Preußen-Deutschland zeichnete sich deutlich ab. Aus der Treue, die ich ge 
schworen hatte, wurde ein tief inneres Gefühl der Hingabe. Der ausschlag 
gebende Wert von Heer und Flotte für unsere Sicherheit, nachdem Deutschland 
immer wieder das Schlachtfeld Europas gewesen war, drängte sich mir förmlich 
auf, wenn ich die Geschichte Schritt für Schritt verfolgte. Ich erkannte zugleich 
durch den Blick ins Leben die Größe und Bedeutung der friedlichen Leistungen 
des Vaterlandes für die Kultur und die Menschheit. 
Als ich 1904 in die Aufmarschabteilung des Großen Generalstabes versetzt 
wurde, begann mein unmittelbares Wirken für die Armee. 
Ich hatte unter General v. Moltke viele Generalstabsreisen mitgemacht 
und einen tiefen Blick in den großen Krieg getan. Meine neue Stellung bot 
mir Gelegenheit, zu zeigen, ob ich die Gedanken des großen Lehrmeisters des 
Generalstabes, des Generals Grafen v. Schlieffen, wenn auch nur im engeren 
Rahmen, in die Tat umzusetzen verstände. Mehr konnte einem Soldaten im 
Krieg nicht geboten werden. Daß ich diese Stellung in einer für das Vaterland 
so überaus ernsten Lage erhielt, bedauerte ich tief. Mein ganzes Inneres 
und mein deutsches Empfinden spornten mich zur Tat.
	        
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