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Der Angriff im Westen 1918
W
Der 19. Juli war wiederum ein kritischer Tag. Er verlief aber leidlich.
Der Feind gewann in Richtung Soissons nicht mehr nennenswert Raum.
Angriffe weiter südlich und südlich der Marne, sowie zwischen Marne und
Ardre brachen zusammen. !
Im ganzen war die Lage erheblich günstiger geworden. Auch die Reste
der Truppen, die sich am 18. überraschen ließen, hatten sich am 19. im allge
meinen gut geschlagen.
Ich erkundigte mich nach den Ursachen unseres Mißerfolges vom 18. Die
Truppe hatte an einen Angriff nicht mehr geglaubt. Ein mir bekannter Divi
sionskommandeur teilte mir mit, er fei am 17. in den vordersten Linien ge
wesen und habe beim Feinde den Eindruck tiefsten Friedens gewonnen. Tat
sächlich ist der französischen Truppe der Angriffsbefehl erst wenige Stunden
vor dem Antreten bekanntgegeben worden. Nachrichten, die unmittelbar vor
Beginn des Kampfes zu unseren Linien herüberkamen, drangen nicht mehr
durch. Das rasche Vorgehen der zahlreichen schnellbeweglichen Tanks in hohen
Getreidefeldern vermehrte die Wirkung der Überraschung. Hierzu trat die
Schwächung der Divisionen infolge von Grippe und einförmiger Nahrung.
Stellenweise herrschte zudem eine gewisse Ermattung durch die früheren
Kämpfe. Alles dies vertiefte die Wirkung des feindlichen Überraschungsan
griffs. Nachdem diese am 19. überwunden war, kam Halt in die Truppe.
Än den Hauptdruckstellen südlich Soissons und südwestlich Reims wehrten
wir am 20. und 21. starke feindliche Massenangriffe, bei denen wiederum
Tanks in Mengen eingesetzt waren, im wesentlichen erfolgreich ab.
Der Rückzug der Truppen südlich der Marne auf das nördliche Ufer in der
Nacht zum 21. verlief in musterhafter Ordnung. Es kam ihm zugute, daß der
Franzose hier am 20. nicht angegriffen hatte. Sein Ansturm am 21. früh stieß
in bereits geräumte Stellungen.
Am 22. trat eine Kampfpause ein. Der feindliche Stoß war endgültig
aufgefangen. Die Schlachtentscheidung war für uns ausgefallen.
Die O.H.L. stand in diesen Tagen vor schweren Entschlüssen. Die Lage
der 7. Armee in dem nach der Marne vorspringenden Bogen war wegen der
rückwärtigen Verbindungen ernst. Wir hätten dauernd in den ungünstigsten
Verhältnissen gegen einen Feind gekämpft, der über die denkbar besten Ver
bindungen verfügte. Jeder feindliche Erfolg bei Soissons oder an der Ardre
konnte von weitesttragender Bedeutung werden. Das Halten des Bogens war
auf die Dauer nicht möglich, ein neuer Schlag gegen Reims erschien aussichtslos.
Ich sandte Offiziere zur Kampffront, die mir ein Bild von den dortigen
Verhältnissen geben sollten. Die Schilderungen, die ich erhielt, bestärkten uns
etwa am 22. abends in dem Entschluß, die Zurücknahme der Truppen von der
Marne in eine Linie Füre en Tardenois—Ville en Tardenois für die Nacht
zum 20./27. Juli anzuordnen. Selbstverständlich war ich mit der Heeres
gruppe Deutscher Kronprinz und der 7. Armee hierüber in dauernder Ge
dankenverbindung. In der bezeichneten Linie war kurzer Widerstand zu
leisten. Der Feind würde mit seinen Massenangriffen von neuem anrennen.
Es mußte ihn dies viel kosten. Der Rückzug hinter die Vesle, der geraden
Linie zwischen Soissons und Reims, kam für Anfang August in Betracht.
Bevor dies geschah, war die Räumung des Geländes südlich der Vesle, nament
lich des Vesletales selbst, durchzuführen. Die reichen Vorräte daselbst brauchten
wir zum Leben.