Volltext: Hier spricht der Feind

Die ersten Deutschen 
Aus dem Werk: „Carnet de guerrc.“ Von Jacques 
Riviere. Verlag Les Editions de la belle Page, Paris. 
24. August 1914. Unsere Offiziere lagern am Fuß der Bäume; der Hauptmann 
macht einen guten Eindruck. Er hat zweifellos dem Major nahegelegt, uns an den 
Waldrand zu führen und die ankommenden Deutschen mit den Gewehren in die 
Flanke zu nehmen. Collard hält das Pferd des Hauptmanns. Wir tauschen 
einen Blick. Ich ziehe mich ein wenig gegen die Anhöhe im Walde zurück. Endlich 
senkt sich der Tag. Es ist dies der Augenblick, an dem die Deutschen auf unserer 
Höhe angekommen sind. Eine kleine Truppe mußte auf der Straße in der Mitte 
durchkommen. Ich hörte ein hartes Kommando, die erste deutsche Stimme. Sie 
find gar nicht leise. Schon konnten sie uns in dem Vuschholz, wo wir versteckt 
waren, nicht mehr sehen, obwohl es kaum mehr als 30 Meter bis zur Straße 
waren. Einen Augenblick vorher — die Sonne war schon untergegangen, aber 
der Himmel noch kaum dämmerig — hatten wir an der Stelle, wo die Straße aus 
dem Wald herauslief, entsetzliche Schreie, Schreie von Sterbenden gehört. Ich 
habe immer vermutet, daß es unsere Offiziere waren, die versucht hatten, die 
französischen Linien wieder zu erreichen und sich hatten töten kaffen. Jedenfalls 
habe ich sie nicht wiedergesehen. Die Schlacht endet nicht mit dem Tag. 
Die Deutschen verfolgen in der Dämmerung die Überreste unserer Truppen. Sie 
nehmen im Sturm die zweite Verteidigungslinie, auf die wir uns, nach des Haupt¬ 
manns Worten, würden zurückziehen müssen, und die wahrscheinlich vom Re¬ 
giment 288 besetzt ist. Die Feuerlinie ist jetzt über uns hinweg. Man hört sie 
an unserm Versteck vorbei vorgehen, sie stoßen Schreie aus, fingen und werden 
begleitet und angefeuert von der wunderlichen, ungeschlachten, tiefen und ein¬ 
tönigen Musik ihrer Trompeten. Seltsamer Eindruck von Urzeit und Naivität; 
es sind die alten Germanen, die wiederkehren, die sich mit Lust und Staunen auf 
uns stürzen. Keine Wut in ihrer Verfolgung; ich weiß nicht, ist es, weil ich 
mich selber so entwaffnet fühle, aber ich spüre keinen Haß in ihren Schreien. Viel¬ 
mehr die Freude der Entdeckung; mit ihren Trompeten grüßen sie die neue Welt, 
in die sie eintreten, indem sie ein wenig diejenigen zertrampeln, die ihnen den 
Durchgang versperrten. Aber in diesem letzten Sturm lag auch ein grenzenloser 
Überdruß; was ihn aushalten läßt, ist der Gedanke, daß am Ende die Suppe und 
der Schlaf winken. 
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