Volltext: Hier spricht der Feind

Wir glauben — und das ist auch die Meinung der Offiziere —, daß dieser 
Pfeudoparlamentär verräterischerweise das Feuer der Zweiundvierziger leiten 
und korrigieren sollte, und daß er sich geopfert hat, um seiner Artillerie den ge¬ 
nauen Punkt anzugeben. Denn sofort richtet sich ein genau gezieltes Feuer des 
Feindes auf uns. Um 17 Uhr 20 waren der General Leman, der Haupt¬ 
mann Naeffens, der Leutnant Mottard, zwei Unterleutnants, verschiedene Unter¬ 
offiziere und ich im Schießbüro, und obwohl das Fort gleichsam zerstört war, 
gaben unsere tapferen Führer immer noch Befehle. Die andern saßen im Zentral¬ 
laufgang und warteten die Ereignisse ab. Man hört das langgezogene Heulen 
eines Zweiundvierzigers. „Noch einer!" sagen sie im Gang. Eine Flammen¬ 
garbe, ein fürchterlicher Stoß schleudert uns gegen die Wand. Dann nichts mehr, 
Stille. — Hier endet das Tagebuch des Wachtmeisters Krantz, der ohnmächtig 
wurde und erst im Hospital wieder zu sich kam. 
Der Doktor Courtin hatte glücklicherweise die Explosion schadlos überstanden und 
sofort seine Geistesgegenwart wiedergefunden: „Ich lag am Boden, einer Ohn¬ 
macht entkommen, mit mühsamem Atem. Zum Glück kam ein bißchen Luft durch 
ein zerbrochenes Fenster herein. Es gelang mir aufzustehen. An meiner Seite liegt 
der Doktor Maloens, deffen Gesicht voll Blut ist, und dem ich einige Tropfen 
Kognak eingebe. Fast instinktiv haben die Leute ihre Augen geschützt. Alle erinnern 
sich ihres Schwurs bei der Ankunft des Verteidigers von Lüttich, des Generals 
Leman, sich nicht zu ergeben, und weigern sich deffen auch weiterhin. Ein erstaun¬ 
liches Beispiel von Heroismus wird von einem kleinen Soldaten im Winkel eines 
Laufganges gegeben. Schwarz von Pulver, die Kleider in Fetzen, mit pflaumen¬ 
großen, blutenden Löchern, schießt er im Dunkeln bis auf seine letzte Patrone. Als 
man zu ihm herankommt, stellt man fest, daß sein einer Fuß zwischen zwei Stein¬ 
klötzen eingezwängt ist, und man muß ihn amputieren, um ihn zu befreien. Wäh- 
renddeffen steigen einige durch das Fenster hinaus, nachdem sie das Eisengitter ab¬ 
genommen haben. Da ich den Laufgang kenne, gehe ich langsam im Finstern hin¬ 
durch. Alle Fenster find zugeschüttet. Plötzlich sehe ich einen Lichtstrahl durch einen 
Vetonhaufen dringen. Ich erweitere die Öffnung, und es gelingt mir hinauszu¬ 
kommen. Am das ganze Fort herum rennen Unglückliche in Flammen, halb verrückt 
vor Schmerz. Andere sprechen auf den Knien Gebete. Cs ist ein entsetzliches Schau¬ 
spiel." Am Abend hatte ein deutscher Oberst dem Militärhospital Lüttich gemeldet, 
daß eine furchtbare Explosion das Fort Loncin zerstört habe. Einer der Ärzte, die so¬ 
fort dahin aufbrachen, erzählte: „Schon kamen einige Verwundete die Straße von 
Thier d'Ans her, und je weiter wir kamen, desto mehr Autos und Fußgängern 
begegneten wir. In den Dörfern standen fast alle Einwohner ängstlich an ihren 
Türen. In Ans-Plateau, deffen Kirchturm umgelegt war, begegneten wir dem 
General Leman, der in einem von zwei Pferden gezogenen Wagen lag. Cr war 
begleitet von dem Stabsmajor Collart und einem deutschen Offizier. Der 
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