Volltext: Hier spricht der Feind

Der Einzug 
Aus dem Werk: „Plateau z6ro tambour Cent/* 
Von Paul Toinei. Verlag Berger-Levrauli, Paris. 
Die Straße der Champs-Elysees nahm riesenhafte Ausmaße an; verschwunden 
waren die Haltestellen, die Laternenpfähle, die sonst gewöhnlich ihre Linie unter¬ 
brechen. Kein Hindernis hielt mehr den Blick auf, und die Sicht reichte, gewaltig 
und majestätisch, bis zu den Pferden von Marly, zur Concorde, zum Louvre, 
dessen harmonische Gesteinsmassen den Blick begrenzten und den Hintergrund 
dieses zu einem idealen Schauspiel bestimmten Gemäldes bildeten. Unmerklich, 
bleiern, bläulich, war der gewohnte Schleier heißer Sommertage über den Himmel 
von Paris ausgespannt. Die Sonne trat nicht hervor, aber sie durchdrang die 
Atmosphäre dieses schönen Nachmittags, daß sie ganz darin aufgelöst schien. Ein 
klares, freundliches, mildes Licht badete alle Dinge. Ein Strom von unzähligen 
Fußgängern füllte die Straße bis zu ihren Nändern. In ruhigem, einheitlichem 
Schritt, ohne Hast und Eile und Zusammenstöße, wälzte er sich vom Etoile zur 
Concorde. Es schien, als wollte jeder zuvor für sich selber die Triumphstraße ziehen, 
die am nächsten Tage die Fahnen durchziehen sollten, als ob ein jeder das Be¬ 
wußtsein hätte, in seiner bescheidenen Sphäre ebenfalls diese legendäre Auszeichnung 
verdient zu haben. Mein Freund Mötier und ich hatten beschlossen, am nächsten 
Tag um 2 Uhr morgens aufzustehen, um die Dämme ohne Schwierigkeiten zu 
überwinden und uns für den Vorbeizug der Truppen an einem guten Platz aufzu¬ 
stellen. Am Abend vorher gingen wir aus, um einen Gang auf den Boulevards 
zu machen. Wir waren zu Fuß. Auf unserm ganzen Weg schien es uns, als ob 
sich Paris geleert hätte und die Peripherie in das Zentrum der Stadt gewandert 
wäre. In den Außenvierteln war das Leben erstorben. Montparnasse war ver¬ 
ödet; soweit der Blick reichte, waren die Trottoirs des Boulevards Raspail fast 
leer. 
Auf den Boulevards war die Durchfahrt für Wagen gesperrt. Im bläulichen 
Licht der Bogenlampen wandelte die Menge langsam dahin, überflutete die 
Straße und die Trottoirs. Aber dies war nicht mehr das grimassierende 
brüllende Gewühl und kotige Durcheinander, dieses vor Festfreude verrückte, 
übel auftretende Volk, das die Amerikaner in ihren Iubelexplosionen aus uns ge¬ 
macht hatten. Man hörte keine Schreie, nur ein dumpfes Gemurmel ging von der 
Menge aus, eine große Ruhe schwebte über ihr. In friedlichem Gleichtakt, ein¬ 
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