Volltext: Hier spricht der Feind

zu vernehmen. Aber man täuscht sich oft, so viele Geräusche gleichen einander. 
Dann bin ich auf der Schulter eines Kameraden eingeschlafen. 
Gegen 2 Uhr schrecke ich auf. Seit einem Moment war mir, als stimmte etwas 
nicht mehr mit unserm Weg. Wir kommen nur langsam voran und halten häufig. 
Die einen von den Poilus bleiben in Ermattung liegen; andere sprechen mit 
Leuten draußen in der Nacht. 
„Die Engländer," sagt mein Nachbar zu mir, „hast du sie nicht gesehen? Sprich 
doch mit ihnen, du kannst ja Englisch..." 
Ich beuge mein schlaftrunkenes Gesicht auf die Straße hinaus, und mein Geist 
voll schwerer Träume erwacht von der nächtlichen Frische. Ein Zug von Reitern 
kommt aus entgegengesetzter Richtung heran. Cs sind Artilleristen. Man hört 
Geklapper von Eisen, sie reiten im müden Schritt ihrer Pferde. Munitionswagen 
folgen aufeinander, aber die Geschütze fehlen. Ich benutze eine Haltepause, um 
diese Engländer anzusprechen. Sie antworten nicht, sie sind auf ihrem Sitz ein¬ 
geschlafen. „Was redest du," sagen die Poilus, „das ist Rückzug! Sie haben 
ihre Kanonen nicht mehr. Wie schlapp die armen Kerls aussehen!" 
Indes reitet einer von ihnen an das Auto heran und schaut, wer wir sind. „Woher 
kommt ihr?" frage ich ihn. „Schlimm da unten? Glaubt ihr, daß sie die Front 
eindrücken werden?" — „Die ist schon eingebrochen," sagt er mit einem phlegma¬ 
tischen Gesicht. Und im Hufgetrappel und Nädergeraffel wird eine Stimme im 
Dunkeln laut, die uns diese Worte zuruft: „Es ist aus! Sie marschieren nach 
Paris!" Bestürzung erfaßt uns, als ich diese Worte übersetze, und die Schläfer 
im Lastwagen rühren sich und stehen auf. Die Engländer verschwinden. Ich rufe 
ihnen zu: „Wo sind wir? Wißt ihr, wo wir find?" Die Antwort verliert sich 
und kommt nur undeutlich an mein Ohr. Das Auto ist weitergefahren. Die 
Straße ist immer noch voll von Menschen und Pferden, von denen sich manche 
bäumen. Die hohen Silhouetten der Briten zeichnen sich vor dem Dunkel unter 
den rundgeränderten Helmen ab. Man weiß nicht mehr, was man denken soll. 
Dieser Rückzug in der Dunkelheit nimmt schon die Ausmaße einer Niederlage an. 
In was für ein ungeheuerliches Abenteuer ziehen wir? 
Die Artilleristen find vorüber. Jetzt find es Infanteristen, die am Grabenrand 
auf Steinhaufen Gruppen von Schläfern bilden. Sie liegen ausgestreckt, den 
Kopf auf ihrem Tornister oder Brotbeutel, ihr Gewehr zur Seite. Arme Eng- 
länder! Aus welcher Hölle kommen sie? Wir halten in einem außerordentlich 
belebten Dorf. Närrisch flackern Lichter hinter den Fensterscheiben; man wirft 
Matratzen, Wäsche, Kleider aus den Fenstern wie bei Bränden. Pferde wiehern, 
Kühe brüllen. Man stapelt Möbel, Lebensmittel auf, zieht Kinder, die ihre ent- 
sehten Augen aufreißen, auf die Wagen hoch. Die Nacht ist ziemlich hell. 
Rufe suchen sich im Gewimmel der Straße; englische Offiziere, begleitet von 
französischen Gendarmen, klopfen mit wiederholten Schlägen an die Läden der 
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